Wenn andere sie fotografierten, sehe sie aus wie ihre eigene Tante, meint Elfie Semotan. Das Selbstporträt entstand im Jahr 2000.

Foto: Elfie Semotan, Courtesy: Studio Semotan

Den Wohnsitz in New York hat sie aufgegeben, Elfie Semotan scheint diese Entscheidung nicht zu bereuen. Für die Politik des abgewählten Präsidenten hat sie nur ein Augenrollen übrig, die Stimmung lässt sie sich davon aber nicht verderben.

Gut gelaunt sitzt sie an diesem Vormittag in ihrer Altbauwohnung im neunten Wiener Gemeindebezirk vor einem Kaffee, den Sohn Ivo serviert hat – auch er lebt im Haus. Die Fotografin wird heuer viel Aufmerksamkeit erfahren. Im Juli feiert sie ihren 80. Geburtstag, zuvor wird im Kunsthaus Wien noch ihre Einzelausstellung Elfie Semotan – Haltung und Pose (von 23. 4. bis 29. 8. 2021) eröffnet.

STANDARD: Es gibt nicht viele Porträts von Ihnen. Warum ist das so?

Elfie Semotan: Ich bin der Meinung, dass ich nicht fotogen bin. Auch wenn das jenem Teil meines Lebens widerspricht, in dem ich Fotomodell war. Ich gefalle mir selten auf Fotos. Wenn andere mich fotografieren, sehe ich immer aus wie meine eigene Tante. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass ältere Frauen auf Fotos vor allem nett aussehen sollen. Ich will aber nicht nett und freundlich ausschauen, auf solchen Bildern sieht man einfach nur irgendwie aus. Dann doch lieber cool.

STANDARD: Sind Sie etwa nicht nett?

Semotan: Natürlich bemühe ich mich, freundlich zu sein. Es gibt aber eine landläufige Vorstellung von "nett", die ich nicht erfüllen will. Schauen Sie sich doch an, wie ältere Frauen dargestellt werden! Einem Mann würde man immer zugestehen, dass er wunderbar aussieht, wenn er ein zerfurchtes Gesicht hat. Wenn eine Frau vom Leben oder Alter gezeichnet ist, gilt das nicht als attraktiv, das Gesicht sollte glatt sein und die Haare lockig.

STANDARD: Hat die Modeindustrie noch immer ein Problem mit älteren Frauen?

Semotan: Natürlich. Werden ältere Frauen engagiert, sind sie mindestens so schön wie Vierzigjährige, sie haben keine Falten. Wenn sie welche haben, tragen sie große neongrüne Brillen. Ältere Frauen werden nie als ältere Frauen gezeigt. Sie werden auf Fotos gern beim Fitnesstraining dargestellt, das finde ich absurd. Wieso fotografiert man Männer nicht so? Die haben riesige Bäuche und stellen sie hemmungslos zur Schau, niemand würde die Figur oder die Kleidung eines Mannes kritisieren, da zählen anscheinend die inneren Werte.

STANDARD: Welches ist denn rückblickend das gelungenste Porträt von Ihnen?

Semotan: Meine Selbstporträts mag ich alle gern. Es gibt aber auch ein Porträt von einem anderen Fotografen, auf dem ich ein bisschen wüst aussehe, dagegen habe ich nichts einzuwenden – ich werde auch älter.

STANDARD: Wann ist ein Porträt gelungen?

Semotan: Wenn eine Person in ihrer Allgemeinheit erfasst wurde, wenn sie ungehemmt wirkt, sie selbst ist.

2018 machte Elfie Semotan das von Diane Arbus inspirierte Porträt mit Lockenwicklern.
Foto: Elfie Semotan, Courtesy: Studio Semotan

STANDARD: Muss man das Gegenüber mögen, um ein gutes Porträt zu machen?

Semotan: Nicht wirklich. Aber ich sollte mich mit der Person verständigen können. Oft fällt es den Menschen vor der Kamera nicht leicht, sich zu entspannen und nicht daran zu denken, ob sie gerade gut ausschauen.

STANDARD: Sie sind mit zwanzig nach Paris gezogen, um als Model zu arbeiten. Fanden Sie sich denn damals schön?

Semotan: Ich habe schon gemerkt, dass ich ganz gut ausschaue. Schön fand ich mich aber nicht, zumindest keinem klassischen Schönheitsideal entsprechend. Ich hatte damals sogar sehr viel an mir auszusetzen: Die Augen fand ich viel zu klein, die Beine hätten zehn Zentimeter länger sein dürfen. In Gesprächen mit vielen schönen Frauen habe ich festgestellt, dass ich mit diesen Selbstzweifeln nicht allein dastand.

STANDARD: Sie wurden damals meist von Männern fotografiert. Wie war das?

Semotan: Nicht sehr angenehm. Dabei waren die Männer meist nett. Es gab aber ganz wenig Verständigung. Ich habe mich oft alleingelassen gefühlt und wusste anfangs überhaupt nicht, was ich vor der Kamera tun sollte. Objekt zu sein hat für mich nie funktioniert. Als Fotografin habe ich mir dann geschworen: Ich mache das anders.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Semotan: Als ich mit dem Fotografieren angefangen habe, wurde mir klar, dass ich mit Menschen, die vor der Kamera verunsichert sind, eine Verbindung herstellen muss. Noch immer sagen mir Frauen, mit denen ich gearbeitet habe: Du warst die Einzige, die mich wie einen Menschen und nicht wie ein Fotomodell, das immer funktionieren sollte, behandelt hat. Das hat mich schon schockiert. Komischerweise habe ich selbst das damals nicht so erlebt, ich wurde nicht unmenschlich behandelt, sondern nur falsch. Falsch für mich, für die Situation, für das Ergebnis.

STANDARD: Es gab zahlreiche Belästigungsvorwürfe gegen große Modefotografen im Rahmen der #MeToo-Debatte. Hat Sie das verwundert?

Semotan: Nicht wirklich. Da entsteht schon eine große Intimität in der Zusammenarbeit. Viele Männer haben vielleicht geglaubt, sie könnten das über das Shooting hinaus fortsetzen.

STANDARD: War das ein Moment der Selbstermächtigung, als Sie die Kamera in die Hand genommen haben?

Semotan: Ich war vor allem freiheitsliebend, habe gemacht, was ich wollte. Als Akt der weiblichen Selbstermächtigung habe ich das erst einmal nicht verstanden. Ich wurde auch nicht schlechter bezahlt als die männlichen Kollegen. Vielleicht habe ich aber auch gar nicht nachgefragt. Ich dachte, das würde mit meinem Können zusammenhängen. Mir wurde erst später bewusst, dass die Fotografie eine Männerdomäne war.

STANDARD: Sie waren mit der Fotografin Sarah Moon befreundet und haben ungefähr zeitgleich zu fotografieren begonnen. Hat Sie das bestärkt?

Semotan: Wir haben uns ganz am Anfang gegenseitig fotografiert und darüber ausgetauscht, sie hat ja auch als Fotomodell gearbeitet. Das Fotografieren war aber für uns beide keine feministische Geste. Erst als ich nach Wien zurückgekommen bin, habe ich das auch so wahrgenommen.

STANDARD: Sie haben mit Ihrer Unterwäschekampagne für Palmers, in der spärlich bekleidete Frauen zu sehen waren, einen Shitstorm ausgelöst. Haben Sie damit gerechnet?

Semotan: Ich habe mich nicht schuldig gefühlt, die Fotos hatte ich im Einvernehmen mit den Frauen gemacht. Aber ich habe auch verstanden, wieso sich die Feministinnen damals aufgeregt haben.

Im Jahr 2000 fotografierte sie die Künstlerin Maria Lassnig.
Foto: Elfie Semotan, Courtesy: Galerie Gisela Capitain

STANDARD: Würden Sie es heute anders machen?

Semotan: Ein bisschen vielleicht – nein, sicher würde ich es anders machen. Ich habe mich weiterentwickelt, und die Zeiten haben sich geändert. Provokation hat mich nie interessiert. Mir ging es darum, die Modefotografie aus dieser eleganten, exklusiven, teuren Umgebung herauszuholen. Ich wollte Mode in hässlichen Hotelzimmern fotografieren, Dinge, die zum täglichen Leben gehören, in die Modestrecken integrieren. Als ich Claudia Schiffer Erdäpfel jonglieren lassen habe, war die Moderedakteurin nicht begeistert, sie war der Meinung: "Das könnten doch auch schöne farbige Bälle sein." Ich habe auf den Erdäpfeln bestanden. Im Nachhinein erstaunt mich, was ich alles durchsetzen konnte.

STANDARD: Warum hat Sie die glatte, perfekte Schönheit nie interessiert?

Semotan: Hübsch sind viele, gutes Aussehen allein fesselt mich nicht. Ich bin auf die Präsenz von Menschen angewiesen – und die hat nur bedingt etwas mit Schönheit zu tun.

STANDARD: Sind schöne Menschen schwieriger zu fotografieren?

Semotan: Nein, die Frage ist nur: Bekommt man von ihnen mehr als nur das Äußere? Das allein ist nicht genug.

STANDARD: Wie hat die Flut an digitalen Bildern Ihr Verhältnis zur Kamera verändert?

Semotan: Sie hält mich vom Fotografieren ab: Wenn zehn Leute knipsen, wozu dann auch noch ich? Aber so geht das nicht. Ich werde mir das neueste Smartphone kaufen und damit arbeiten, besser gesagt unauffällig, eben so, wie alle anderen fotografieren. Das mache ich jetzt, die Qualität sollte gut genug sein.

STANDARD: Mit dem Smartphone hat das Selfie den Siegeszug angetreten. Sind die Menschen vor der Kamera selbstbewusster geworden?

Semotan: Ob diese ständige Selbstvergewisserung, dass man schön ist, ein Zeichen von Selbstbewusstsein ist, weiß ich nicht. Aber wir haben so viele Krücken für unsere Schönheit, wie wir sie nie zuvor hatten. Es gibt modische Kleider im Überfluss und Schönheitsmittel, derer Mädchen sich ab vier Jahren bedienen.

STANDARD: Was wäre die Welt heute ohne Schminkvideos ...

Semotan: Abenteuerlich ist das! Die 14-Jährigen in meiner Umgebung sind perfekt geschminkt und frisiert. Es gibt doch wichtigere Dinge in diesem Alter als ein perfektes Make-up.

STANDARD: Haben Sie heute eher das Bedürfnis, ältere Menschen zu fotografieren?

Semotan: Jüngere Menschen werden ständig fotografiert. Es ist mir ein Anliegen, andere Bilder von älteren Frauen zu machen. Da gibt’s noch Nachholbedarf.

STANDARD: Werden klassische Schönheitsideale nicht zunehmend infrage gestellt?

Semotan: Immerhin ist die Industrie gezwungen zu sagen: Ältere Frauen sind auch Menschen. Neben der Rolle der Großmutter gilt es aber für ältere Frauen noch viele Räume zu erobern. Als ich Oma wurde, wurde ich vielfach beglückwünscht. Ich habe mich damals gefragt, warum das von solchem Interesse ist. Wohl um mich in jener Großmutterrolle einordnen zu können. (Anne Feldkamp, RONDO exklusiv, 28.3.2021)