Am Abend des 2. November 2020 wurde die Wiener Innenstadt Ziel eines terroristischen Anschlags. Vier Menschen starben, 23 wurden zum Teil schwer verletzt.

Markus Sulzbacher

Der Terroranschlag am Abend des 2. Novembers 2020 in Wien hat nicht nur ein völliges Versagen der Sicherheitsbehörden offenbart, sondern auch in Erinnerung gerufen, dass Anhänger des sogenannten "Islamischen Staats" (IS) weiterhin jederzeit losschlagen könnten. Das war auch eine Botschaft des Attentats, bei dem vier Menschen ums Leben kamen und 23 Personen zum Teil schwer verletzt wurden.

Seit 2019 hatte sich der IS nicht mehr zu einem Terroranschlag in westlichen Ländern bekannt. Der Anschlag in Wien deutet darauf hin, dass der "IS weiterhin prestigeträchtige Anschläge in westlichen Ländern zumindest propagandistisch nutzt, um IS-Sympathisanten von seiner Schlagkraft zu überzeugen und so neue Anhänger zu rekrutieren", schreibt dazu der deutsche Verfassungsschutz in einer Einschätzung. Dazu passt, dass der Anschlag auch von deutschsprachigen Sympathisanten des IS in sozialen Netzwerken aufgegriffen wurde. Sie verbreiteten Videos, die in Wien von Passanten und Anwohnern aufgenommen wurden. Nachdem sich der IS offiziell zum Anschlag bekannt hatte, wurde der Attentäter glorifiziert und vereinzelt zur Nachahmung aufgerufen.

Attentäter wollte in Erinnerung bleiben

Es war kein Zufall, dass der Attentäter vor den gut sichtbaren Überwachungskameras der Wiener Synagoge auf und ab lief. Auch passt dazu, dass er vor seiner Tat auf seinem Instagram-Account ein martialisches Foto postete, das ihn mit Waffen zeigte, die er später bei dem Anschlag verwendete. So wollte er der Nachwelt in Erinnerung bleiben.

Laut Erklärung des IS habe der "Soldat des Kalifats" Abu Dujana al-Albani (Arabisch für: der Albaner) am Tag zuvor eine "Ansammlung von Kreuzzüglern" in Wien mit einem Schnellfeuergewehr, einer Pistole und einem Messer angegriffen und dabei circa 30 Personen "getötet beziehungsweise verletzt". Darunter seien auch Polizeikräfte gewesen.

Tausende Menschen besuchten den Ort des Anschlags in Wien, um ihre Trauer und Solidarität mit den Opfern und ihren Angehörigen zu bekunden.
Markus Sulzbacher

Auch die IS-Nachrichtenstelle "Amaq" veröffentlichte am Abend des 3. Novembers 2020 eine Erklärung mit einem Bild des Attentäters, die inhaltlich der offiziellen Erklärung des IS folgt. Daneben verbreitete "Amaq" ein Video, in dem der Attentäter einen Treueeid auf den gegenwärtigen IS-"Kalifen" Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi ablegt. In dem Video ist der Attentäter mit einer Pistole, einem Sturmgewehr und einer Machete zu sehen. Im Anschluss an den Treueeid spricht er die IS-Parole "Der Islamische Staat bleibt bestehen".

Zwei Tage später stellte der IS den Anschlag in der 259. Ausgabe des IS-Wochenmagazins "al-Naba", die am 5. November auf IS-nahen Social-Media-Kanälen verbreitet wurde, in den Vordergrund. Der Anschlag habe zu einem großen medialen Echo geführt, ist darin zu lesen. Ein Echo, das dem IS sehr wichtig ist.

126 "Foreign Terrorist Fighters" in Österreich

Wie stark der IS in Österreich derzeit ist, ist schwer einzuschätzen. Online treten seine Anhänger kaum mehr offen in Erscheinung. Laut einer 2014 vom ORF veröffentlichten Auswertung von Facebook-, Ask.fm- und Instagram-Profilen teilten hierzulande knapp 2.000 Menschen offen die Ideen des IS. "Soweit sich das in den Onlineprofilen eruieren ließ, sind die Ballungszentren der Sympathisanten wenig überraschend Wien (221), Graz (123), Linz (83) und Salzburg (63). Aber auch kleinere Städte wie Wels (51), Steyr (58) oder Kapfenberg (54) haben große Communitys von terrorbegeisterten Jugendlichen", heißt es in dem Artikel. Im vergangenen Jahr gab es neun Anzeigen, nachdem seine Symbole in der Öffentlichkeit gezeigt worden sein sollen.

Laut den Behörden halten sich mit Stand Dezember 2020 126 sogenannte Foreign Terrorist Fighters in Österreich auf, also Personen, die am Bürgerkrieg im Irak und in Syrien auf der Seite jihadistischer Gruppen kämpften oder es zumindest versuchten. Darunter sind hauptsächlich IS-Anhänger.

Foto: Markus Sulzbacher

Insgesamt sind 334 sogenannte Foreign Terrorist Fighters den Behörden bekannt. Aus diesem Personenkreis sind mutmaßlich 72 Personen ums Leben gekommen. Nach 104 Personen wurde im Dezember 2020 noch gefahndet beziehungsweise war ihr Aufenthaltsort unbekannt. Einige befinden sich im Gewahrsam kurdischer Milizen in Nordsyrien. Über ein Dutzend sitzt in österreichischen Gefängnissen, darunter auch Personen, die im Zusammenhang mit dem Terroranschlag festgenommen wurden.

Im März 2019 verlor der IS seine letzte Bastion

Die meisten der IS-Anhänger aus Österreich brachen auf, nachdem die Terrormiliz im Sommer 2014 große Teile im Norden und Osten des Irak überrannt hatte und ein Kalifat ausrief. Ihr Herrschaftsgebiet erstreckte sich damals auch auf große Teile des benachbarten Bürgerkriegslandes Syrien. Örtlichen kurdischen Kämpfern und Kämpferinnen und der von den USA angeführten internationalen Koalition gelang es danach, die Islamisten in beiden Ländern nach und nach zurückzudrängen. Im März 2019 verlor der IS seine letzte Bastion im Osten Syriens. Zellen der Jihadisten sind aber in beiden Ländern weiter aktiv. (Markus Sulzbacher, 18.3.2020)