Mitte März 2016 sollte es zwischen der EU und der Türkei nicht nur einen Neustart geben: Nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs sollte sogar ein neues Zeitalter enger wechselseitiger Beziehungen beginnen. Das versuchten der türkische Premierminister, der ständige EU-Ratspräsident und der Chef der EU-Kommission zum Ausdruck zu bringen.

Ahmet Davutoğlu, Donald Tusk und Jean-Claude Juncker beim Handshake 2016.
Foto: AFP / Thierry Charlier

Ahmet Davutoğlu, Donald Tusk und Jean-Claude Juncker, die damaligen Verhandler, verkündeten nach einem anstrengenden EU-Gipfel in Brüssel den Migrationspakt zwischen der Union und dem EU-Beitrittswerberland Türkei. Um ihre ganz besondere Verbundenheit zu symbolisieren, legten sie die Hände übereinander, strahlten in die Kameras. Nach einem halben Jahr heftiger Turbulenzen in Europa, das Anfang September 2015 mit dem Zug hunderttausender Flüchtlinge und Migranten über die Balkanroute nach Norden begonnen hatte, sollte wieder einigermaßen Ordnung auf dem Kontinent einkehren.

Drei Ziele

In Syrien tobten Kämpfe, die Zahl der Flüchtlinge von dort überschritt die Schwelle von fünf Millionen. Allein in der Türkei lebten geschätzt drei Millionen Syrer. Aber über die "Balkanroute" kamen Menschen auch aus anderen Krisenländern, von Afghanistan bis Tunesien.

"Der Pakt" verfolgte nun, auch indirekt, ein dreifaches Ziel: Zuerst sollte der irreguläre Zustrom von Menschen von der Türkei über die Ägäis nach Griechenland gestoppt werden. Von Mazedonien ausgehend, hatten einzelne Balkanstaaten bereits begonnen, ihre Grenzen zu schließen, weshalb immer mehr Menschen nicht weiterkonnten. Dafür sollte die Türkei sorgen, indem sie die Migranten daran hinderte, in Booten in Richtung der griechischen Inseln abzulegen oder den Landweg über Bulgarien zu nehmen.

Zweitens wollte die EU, zumindest offiziell, vor allem Flüchtlingen aus Syrien humanitäre Hilfe zukommen lassen und sie von Migranten, die nicht aus Kriegsgebieten kamen und eine geringere Chance auf Asyl in Europa hatten, trennen.

Beitrittsverhandlungen wieder in Gang bringen

Und drittens wollte die Türkei den Pakt dafür nützen, die stockenden Beitrittsverhandlungen mit der EU wieder in Gang zu bringen. Letzteres war zwischen den EU-Staaten umstritten. Doch es kam zum Konsens, Davutoğlu hatte der EU ein Angebot gemacht: Für eine Finanzhilfe von zunächst drei Milliarden Euro, die später auf sechs Milliarden aufgestockt wurde, würde er die Grenze zu Europa streng kontrollieren. Alle Menschen aus Syrien, die es dennoch auf eine griechische Insel schafften, sollten im Schnellverfahren wieder zurückgeschickt werden. An ihrer Stelle sollten andere Syrer in regulären Übersiedelungs- und Asylverfahren direkt in EU-Staaten gebracht werden. So hoffte man, den Druck auf Griechenland und den Kontinent lindern zu können.

Fünf Jahre später sieht die Bilanz dieses Vorhabens ernüchternd aus, auch wenn der Pakt vorläufig bis 2022 verlängert wurde. Wirklich gut funktioniert hat nur die Finanzhilfe, die direkt in die Türkei ging. Mit dem Geld konnten im Osten des Landes ordentlichere Lager errichtet werden, hunderttausende Syrer schulisch gebildet und medizinisch versorgt werden.

Die Annäherung der Türkei an die EU aber ging völlig schief. Im Sommer 2016 kam es zu einem Putschversuch gegen das Regime von Recep Tayyip Erdoğan. Seither verschlechterte sich die Menschenrechtslage dramatisch, zudem spielte die Türkei im Syrienkonflikt eine aus EU-Sicht zweifelhafte Rolle. Die Beitrittsverhandlungen? De facto tot.

Wer ist ein "echter" Flüchtling?

Suboptimal sieht die Lage auch aus, was die Weiterentwicklung einer gemeinsamen europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik betrifft. Deren Hauptziel: eine schärfere Trennung "echter" Flüchtlinge von Wirtschaftsmigranten. Flüchtlinge sollten in besseren und schnelleren Verfahren rascher in den EU-Staaten integriert werden. Die europaweite Verteilung der Menschen sollte breiter werden – bisher kamen in Deutschland, Schweden und Österreich rund 90 Prozent der Menschen an. Im Gegenzug wollte man andere schneller abschieben, die EU-Außengrenzen stärker kontrollieren.

Pläne dazu liegen aber in den Schubladen, die EU-Länder konnten sich in den wichtigsten Punkten eines "europäischen Asylverfahrens" bisher nicht einigen. Das Migrationspaket bleibt eine, so scheint’s, ewige Baustelle. (Thomas Mayer, 18.3.2021)