Bei der Hälfte der EU-Länder bleibt AZD1222 vorläufig im Kühlschrank. Ob zu Recht, wird von vielen Wissenschaftern zumindest in Zweifel gezogen.

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Weil es preisgünstig und für die Massenproduktion gut geeignet ist und bei der Lagerung keine besonderen Probleme bereitet, wurde AZD1222 anfangs als große Hoffnung in der Pandemie gepriesen. Mittlerweile ist der Ruf des von der University of Oxford und Astra Zeneca entwickelten Impfstoffs jedoch ziemlich ramponiert. Nach Berichten über eine Häufung von Nebenwirkungen und Impfreaktionen im Februar geriet das Vakzin zuletzt in den Verdacht, das Risiko für Thrombosen zu erhöhen.

Die Hälfte aller EU-Länder hat die Impfungen mit AZD1222 bereits gestoppt, darunter seit Montag auch Deutschland, das sich bei seiner Entscheidung auf das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) beruft. Die Forscher des PEI berichten von Häufungen einer speziellen, seltenen Form von Hirnvenenthrombosen im zeitlichen Umfeld einer Impfung. Die betreffenden sieben Patientinnen und Patienten, von denen drei verstorben sind, stehen in Deutschland 1,6 Millionen Geimpften gegenüber. Die Wissenschafter warnen davor, automatisch einen kausalen Zusammenhang zwischen Impfung und Thromboseerkrankung herzustellen, dafür gebe es keinerlei Datengrundlage.

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Einen Hinweis könnte Großbritannien liefern, wo bisher am meisten AZD1222 verimpft wurde: Elf Millionen Menschen erhielten diesen Impfstoff dort bereits, etwa ebenso viele wurden mit Biontech/Pfizer geimpft. Die veröffentlichten Nebenwirkungsmeldungen zeigten bisher jedoch keine spezielle Häufung von Thrombosefällen oder Gerinnungserkrankungen in zeitlicher Nähe zu einer AZD1222-Impfung – im Gegenteil: Dort stieg der Impfstoff von Biontech/Pfizer teilweise sogar etwas schlechter aus.

So wurden beim Astra-Zeneca-Vakzin 13 Fälle von Lungenembolien gemeldet (meist ausgelöst durch Blutgerinnsel, also einem Thrombus), bei Biontech/Pfizer 15. Ähnlich sieht es bei Durchblutungsstörungen im Gehirn aus: Beim Astra-Zeneca-Vakzin wurden 41 Fälle genannt, davon sechs tödlich, beim Biontech/Pfizer-Impfstoff 55 schwere Vorfälle, davon drei tödlich. Bei Gehirnblutungen gab es bei AZD1222 laut den britischen Meldungen sieben Vorfälle, davon einer tödlich, bei Biontech/Pfizer zehn, drei von ihnen tödlich.

Wie sicher ist die Impfung mit dem Astra-Zeneca-Vakzin? Welche Fragen muss die EMA nun klären, damit das Impfprogramm ungestört weiterlaufen kann? Antworten auf diese Fragen lieferte eine Expertenrunde beim Videotalk "STANDARD mitreden", unter anderem mit dem Virologen Norbert Nowotny, der Impfpolitik-Forscherin Katharina Paul und der Pathologin Renate Kain.
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Da bei den beschriebenen Thrombosefällen Frauen überrepräsentiert sind, befürchten manche auch einen Zusammenhang mit der Antibabypille. Tatsächlich kann die Pille ein Risikofaktor für die beobachtete spezielle Art der Hirnvenenthrombose sein, dieser sei aber gering, meint Ingrid Pabinger-Fasching, Professorin für Hämostaseologie an der Med-Uni Wien. Dass Frauen, die die Antibabypille nehmen, durch eine Covid-Schutzimpfung, sei es Astra Zeneca, Biontech/Pfizer oder Moderna, in größerer Thrombosegefahr schwebten, könne man jedenfalls nicht sagen. Dafür liege einfach nicht genug belastbares Datenmaterial vor.

Covid-19 ist riskanter

Was sich allerdings sehr gut mit Studien belegen lässt, ist die extreme Häufung von Thrombosen bei einer Covid-19-Erkrankung, weshalb für die Wissenschafter der Nutzen einer AZD1222-Impfung deutlich schwerer wiegt als die potenziellen Risiken. "Wir wissen, dass die gesundheitlichen Gefahren durch Covid real sind, und wir wissen, dass der AZ-Impfstoff diese Probleme und Risiken verhindert und dass er uns helfen kann, die Pandemie und all ihre Folgen zu überwinden", meint Adam Finn von der University of Bristol.

Ähnlich äußerte sich auch Christian Drosten in seinem Podcast "Coronavirus-Update": Angesichts der beginnenden dritten Corona-Welle in Deutschland bedauert der deutsche Virologe die Entwicklungen um Astra Zeneca mit ausgesetzten Impfungen und knapperen Liefermengen. Die epidemiologische Lage sei im Moment nicht gut, vor allem weil die ansteckendere Virusvariante B.1.1.7 immer mehr überhandnehme. Er befürchtet für kurz nach Ostern eine Situation wie um Weihnachten herum, die sich dann im weiteren Verlauf wegen der Mutante "drastisch erschweren" könnte. (Thomas Bergmayr, 18.3.2021)