Frédéric Martel hat 2019 eine klare Botschaft in die Welt gesetzt. Denn wer das 660 Seiten starke Buch des Franzosen liest, kann nur zu einem Schluss kommen: Der Vatikan ist eine der größten homosexuellen Gemeinschaften der Welt. Martel hat in Sodom: Macht, Homosexualität und Doppelmoral im Vatikan vier Jahre penibler Recherche zusammengefasst – und ein unglaubliches Bild von Heuchelei und Doppelmoral gezeichnet. Ein Bild einer Institution, die sich stolz die Verkündigung der Wahrheit an die Fahnen heftet, aber hinter vatikanischen Mauern am selbsterrichteten Lügenkonstrukt tagtäglich zu ersticken droht.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Klarstellung der Glaubenskongregation, wonach gleichgeschlechtliche Paare auch vom Segen der Kirche ausgeschlossen bleiben, besonders grotesk. Man verschließt sich nicht nur der Lebens- und Liebeswelt einer modernen Gesellschaft, sondern versteckt einmal mehr die eigene Lebens- und Liebeswelt unter der Soutane.

Papst Franziskus ist am konservativen Lager im Vatikan offenbar dramatisch gescheitert.
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Mit der jüngsten "Antwort auf einen Zweifel" (Responsum ad dubium) hat sich wohl auch der Ruf von Papst Franziskus als klerikaler Sonnenstrahl im verstaubten Gotteshaus erledigt. Es gilt hier, päpstliche Aussagen wie "Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu leben" oder "Was wir benötigen, ist ein Gesetz, das eine zivile Partnerschaft ermöglicht" aus dem Oktober des Vorjahres in Erinnerung zu rufen. Diese Aussagen haben damals viel Hoffnung geweckt, sind heute aber nur mehr Schall und Weihrauch. Der liberale Kirchenmann aus Argentinien ist am konservativen Lager im Vatikan offenbar dramatisch gescheitert.

Moderne Kirche

Frauen dürfen keine Weiheämter übernehmen, Wiederverheiratete sind von der Kommunion ausgeschlossen, homosexuelle Paare dürfen nicht heiraten, ja nicht einmal gesegnet werden. So weit die Bilanz der letzten Monate. Millionen Menschen hat man damit eine klare Botschaft aufs Auge gedrückt: Gott will euch nicht. Eine Form der Diskriminierung, die eigentlich undenkbar und aufs Schärfste abzulehnen ist: Mann und Frau sind in der Kirche bei Gott nicht gleichgestellt, und allein die sexuelle Orientierung ist Ausschlussgrund genug.

Und doch hat insbesondere die heftige Kritik, speziell kirchenintern, am Nein zu Segnungen homosexueller Partnerschaften eindeutig gezeigt: "Roma locuta, causa finita" kann sich die klerikale Chefetage im Vatikan maximal noch auf die Zierpolster sticken. Denn die Tage des römischen Zentralismus sind längst gezählt. Der Tenor an der Basis ist heute klar: Mit Rom, wenn Rom mit uns gehen will. Aber eben auch allein, wenn der Vatikan bremst. Priester sind nicht mehr nur in Erwartungshaltung, sondern bereit, große Schritte in Richtung einer modernen Kirche zu gehen – und eben auch Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare weiter durchzuführen.

Die Machtspiele in Rom beeindrucken einen immer kleiner werdenden Kreis. Im Kapitel "Der Ring der Wollust" in Martels Buch wird übrigens ein Bischof angeführt, über den intern der Spruch "Spitze bei Tag, Leder bei Nacht" kursiert. (Markus Rohrhofer, 18.3.2021)