Aufdecker Sebastian Kurz, ÖVP-Chef und Bundeskanzler.

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Tag sechs nach der von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) angefachten Aufregung über die Verteilung von Impfstoffen innerhalb der Europäischen Union: Auftritt des ÖVP-Chefs in der ORF-Nachrichtensendung "ZiB 2". Kurz präsentierte sich dabei am Mittwoch als Ritter der Gerechtigkeit, dem es gelungen sei, die "Blackbox" der von Beamten vereinbarten Verteilungsregelung zu knacken. Seine Amtskollegen, zumindest 15 von ihnen, seien "aus allen Wolken gefallen", erklärte der Kanzler spätabends den vom Impfstreit wohl schon ermatteten Zuseherinnen und Zusehern.

Über den Wolken

Es folgte die Vergemeinschaftung von Verantwortung: Wie er habe auch die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen "natürlich nicht gewusst, dass in einem Beamtengremium dem nicht entsprochen wurde, was die Staats- und Regierungschefs vereinbart haben" – die Betonung liegt auf "Beamten"-Gremium, igitt und "inakzeptabel". Abgemacht sei nämlich: "Pro rata population at the same time", wie der Kanzler in kristallklarem Englisch zitierte.

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Gesehen habe er die entsprechenden Verträge nie, weil auf Nachfrage im Gesundheitsministerium stets darauf verwiesen worden sei, dass diese der Geheimhaltung unterliegen. Kurz präzisierte: Ihm gehe es nicht um die Bestellmenge, da sei Österreich im Vergleich mit anderen zumindest auf dem Papier relativ gut versorgt. Sein Punkt ist: Es wurde vom System abgewichen, dass alle Mitgliedsstaaten jede Woche gemäß ihrem Bevölkerungsanteil beliefert werden. Das Endergebnis ist bekanntlich ein anderes.

Unter dem Radar

Dass Gesundheitsminister Rudolf Anschober vom grünen Koalitionspartner bereits am 20. Jänner auf genau diese Entwicklung hingewiesen hat, wischte Kurz mit dem Verweis auf ein Telefonat mit dem im der Vorwoche erkrankten Regierungsmitglied beiseite: Anschober habe ihm "glaubhaft versichert", dass er diese Informationen nicht vom mittlerweile abgesetzten Impfstoffkoordinator Clemens Martin Auer erhalten habe.

Im Jänner klang das noch ganz anders. Auszug aus Anschobers damals erstellter OTS mit Blick auf die Bestellung von 3,8 Millionen zusätzlichen Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs: "Diese Gesamtmenge dient dabei als Beschleunigungsfaktor, da ein großer Teil dieser Menge nur dann bereits im zweiten oder dritten Quartal 2021 geliefert wird, wenn die maximal mögliche Gesamtmenge in Anspruch genommen wird."

Doch wer will sich mit verschütteter Milch aufhalten, wenn größere Aufgaben warten: Ein Mechanismus, der die ganzen Troubles korrigiert, solle "in den nächsten Wochen" gefunden werden, rittert Kurz. Das heißt für Österreich: 400.000 zusätzliche Dosen Biontech/Pfizer. Aber hier geht es ja um mehr. Um die Gerechtigkeit, für Bulgarien etwa.

Und da frage noch einmal ein Studiogast der "ZiB 2", was der Bundeskanzler eigentlich so beruflich macht. (Karin Riss, 18.3.2021)