Spielteilnehmer eines populären Wiener Spiels sind je ein SUV-Fahrer und ein Passant, der sich anschickt, einen Zebrastreifen zu überqueren.

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In Wien gibt es ein populäres Spiel, und das geht so: Spielteilnehmer sind je ein SUV-Fahrer und ein Passant, der sich anschickt, einen Zebrastreifen zu überqueren. Um dem Passanten die Macht und die Herrlichkeit seines Gefährts zu demonstrieren, behält der hurtig herbeibrausende SUV-Fahrer sein Tempo bis zur allerletzten Sekunde unvermindert bei und lässt den Passanten im Unklaren, ob er ihn vorbeizulassen oder zu überfahren gedenkt.

Meist überfährt er ihn nicht, natürlich aus Eigennutz, weil man sich durchs Passanten-Überfahren Scherereien einbrockt. Gleichwohl ist das Benehmen des SUV-Fahrers ungehobelt, rücksichtslos, gefährlich und auch dumm. Es gibt zu Fuß gehende Mafiosi, die geschäftlich in Wien zu tun haben und von ihrer Sozialisation in Sizilien her eine Abneigung gegen hurtig herbeifahrende Autos mitbringen. Da ist dann die Glock schnell einmal gezückt und eine Windschutzscheibe flott durchschossen.

Bioösterreichischer Verkehrsrüpel

In der vergangenen Woche habe ich das Spiel dreimal gespielt, in der Rolle des Passanten. Und ich kann bezeugen, dass jedes Mal ein und derselbe Menschentyp am SUV-Steuer saß: ein mittelalter weißer Mann ohne erkennbaren Migrationshintergrund, mithin also ein ganz normaler bioösterreichischer Verkehrsrüpel, der nach dem Motto lebt: "Einen Hunderter wird man in der Innenstadt wohl noch fahren dürfen."

Kann man aus dieser Story schließen, dass schlechtes Benehmen eine ausschließlich männliche Prärogative ist? Es gibt Gegenbeispiele. Kürzlich hat sich eine deutsche Kolumnistin auf Twitter an einem Kinderbuch des Zeichners Janosch gestoßen, weil darin ein Frosch der "Tigerente", einem Holzspielzeug, ungefragt einen Kuss aufdrückt. Die Kolumnistin: "Das kann nicht im Ernst eine Kindergeschichte sein, dass eine Figur an einer schweigenden Figur sexuelle Handlungen vornimmt."

Wenn sich diese Logik durchsetzt, darf man nicht mehr an einem Twinni lecken, ohne es erst um sein Einverständnis zu bitten. Zudem hat der Tweet einen giftigen Unterton: In einer Art anmaßender Selbstfraulichkeit versucht die Dame all jenen, die ihren Kindern jemals eine Janosch-Geschichte vorgelesen haben – und zu denen zähle auch ich–, ein schlechtes Gewissen einzuflößen. Nicht mit mir, Madame. Ich lasse den Frosch und die Tigerente weiterhin hochleben. Dreimal hoch. (Christoph Winder, 21.3.2021)