Die Black-Lives-Matter-Demonstration im Sommer war eine der größten der vergangenen Jahre in Wien.

Foto: Heribert Corn

Eine Frau und ihre zwei Kinder werden regelmäßig von einem Nachbarn bedroht. Er führt seinen Hund beim Spazierengehen absichtlich immer nahe an ihnen vorbei. Eines Tages kommt es im Stiegenhaus zur Eskalation: Als die Frau den Mann konfrontiert, wird dieser ausfällig und sagt, sie solle wieder "zurück in ihr Land gehen". Er lässt den Hund von der Leine, befiehlt ihm, die Frau anzubellen, und schlägt mit der Leine auf die Frau ein. Und hört nicht auf, selbst dann nicht, als er von anderen Nachbarn gefilmt wird. Schließlich verletzt er die Frau – und zeigt sie anschließend selbst wegen Körperverletzung an.

So lautet die Darstellung der Betroffenen, wie sie sie dem Verein Zivilcourage und Antirassismus-Arbeit (Zara) vermittelt haben. Ermittlungen würden laufen, berichtet die NGO. Es ist eines von vielen Beispielen, die Zara im Jahr 2020 in seinem Bericht dokumentierte. 3.039 solche und ähnliche Fälle von rassistischen Erfahrungen waren es im vergangenen Jahr an der Zahl. So viel wie noch nie seit dem Bestehen der Organisation und um ein Drittel mehr als im Jahr davor, wie diese am Donnerstag bei einem Pressegespräch bekanntgab.

Spitzenreiter Onlinehass

Zara veröffentlicht jedes Jahr einen derartigen Bericht, in dem Meldungen, die von Betroffenen oder auch Zeugen von rassistischen Vorfällen erlebt wurden, dokumentiert werden. 2.148 Meldungen betrafen 2020 allein den Bereich Hass im Netz, 303 Meldungen gingen im Bereich öffentlicher Raum ein. 227 waren es im Bereich Güter und Dienstleistungen, zu dem auch Wohnen und Nachbarschaft gehört. 92-mal wurde Rassismus seitens staatlicher Behörden beklagt, 83-mal durch die Polizei und 85-mal durch Medien. Der Rest verteilte sich auf andere Bereiche.

Ein Großteil der Meldungen (86 Prozent) kam von Zeugen, nicht von den Betroffenen (14 Prozent). Eine Verdopplung beobachtete man bei Rassismus gegen Musliminnen und Muslime. Ein Viertel der Vorfälle stand zudem im Zusammenhang mit der Hautfarbe der Betroffenen. Die Verantwortlichen bei Zara verwiesen deshalb auf das aktuelle Volksbegehren "Black Voices", das sich selbst als "Anti-Rassismus-Volksbegehren" bezeichnet. Im Volksbegehren wird ein nationaler Aktionsplan gegen Rassismus gefordert, der sich gesamtgesellschaftlicher Problemfelder annehmen soll, von den Bereichen Bildung über Arbeitsmarkt bis Flucht und Migration. Ein solcher Plan ist auch im Regierungsprogramm vorgesehen, aber noch nicht umgesetzt.

Bewusstsein gestiegen

Die Meldungen im Onlinebereich haben sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Zara führt das auf die starke mediale Präsenz ebenjener Phänomene, Rassismus und Hass im Netz, zurück. Zudem gebe es eine "Covid-bedingte Verlagerung des Lebens in die Onlinewelt", auch das Melden von Onlinerassismus sei relativ unkompliziert.

Ob der Anstieg an Meldungen tatsächlich auf einen Anstieg von Rassismus in der Gesellschaft oder vielmehr auf ein höheres gesellschaftliches Bewusstsein für Rassismus zurückzuführen ist, lässt sich nicht abschließend beantworten. Bei Aussagen diesbezüglich sei man "sehr vorsichtig", sagte Zara-Geschäftsführerin Caroline Kerschbaumer, wiewohl man eher glaube, dass das Bewusstsein gestiegen sei.

"Rassismus findet sich in nahezu allen Lebensbereichen und ist im System verankert", sagte die Leiterin der Zara-Beratungsstellen, Dilber Dikme. Betroffene würden oft nicht gegen Diskriminierung vorgehen, weil sie sich in der schwächeren Position sehen. Besonders im Bereich des institutionellen Rassismus würden "äußerst selten" Fälle auch wirklich gemeldet. (van, 18.3.2021)