Eine chronisch-entzündliche Zahnbetterkrankung kann schwere Covid-Verläufe fördern. Spanische Zahnmediziner empfehlen dem Krankenhauspersonal deshalb, bei Covid-19-Patienten mit Parodontitis antibakterielle Mundspüllösungen zu verwenden.

Foto: imago images/Westend61

Eine Parodontitis beginnt schleichend. Gelegentliches Zahnfleischbluten, Mundgeruch, Zahnbelag, zurückgehendes oder geschwollenes Zahnfleisch und möglicherweise bewegliche Zähne sind erste Symptome dieser bakteriell bedingten Entzündung des Zahnhalteapparats. Sie sollte nicht unterschätzt werden – weder was ihre weltweite Verbreitung noch was ihre möglichen Folgen anbelangt.

So leidet etwa die Hälfte der Erwachsenen ab etwa 35 Jahren an einer milden bis moderaten Parodontitis, zehn Prozent sogar an einer schweren Form. Das Bakterium Porphyromonas gingivalis ist zwar der häufigste Keim im Zahnbelag, aber keineswegs der einzige. Er hat etwa 600 bis 700 weitere Bakterienarten als Mitstreiter im Zahnbelag. Die Bakterien greifen Zahnfleisch, Zahnwurzel, umliegendes Bindegewebe und Knochen mit ihren eiweißspaltenden Stoffwechselprodukten, Gingipaine genannt, an. Sie schwächen das Immunsystem und führen zum Schwund des Zahnbetts.

Wichtig: Mundhygiene

Begünstigt wird eine Parodontitis durch eine mangelnde Mundhygiene, ein geschwächtes Immunsystem, Rauchen oder bestimmte Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes. Mundgeruch, bewegliche Zähne und Zahnfleischbluten sind zumeist die ersten Symptome einer Parodontitis, und die kennen viele Menschen nur zu gut.

Eine Parodontitis kann über die im Blut "reisenden" Entzündungsfaktoren den ganzen Körper betreffen. Außerdem können auch die Bakterien wie Porphyromonas gingivalis auf dem Blutweg an andere Stellen im Körper gelangen, beispielsweise zu den Herzklappen, und sich dort festsetzen. Eine Parodontitis bedeutet deshalb ein Risiko im Hinblick auf Erkrankungen wie Herzinfarkt, Rheuma und Lungenentzündungen sowie für Diabetes-Folgeerkrankungen.

So verwundert es nicht, dass Zahnmediziner in Corona-Zeiten auf die Idee kommen zu untersuchen, ob Parodontitis eine Covid-19-Erkrankung verschlimmern kann. Insbesondere nachdem es im Extremfall bei manchen Covid-19-Patienten zu lebensgefährlichen Entgleisungen des Immunsystems und starken Gewebeschädigungen in der Lunge und andernorts kommen kann. Deshalb ist es wichtig, Risikofaktoren für einen möglichen schweren Verlauf von Covid-19 zu kennen.

Parodontitis als Risikofaktor

Auf die Idee, Parodontitis unter die Lupe zu nehmen, kam ein Team von Zahnmedizinern unter der Leitung von Faleh Tamimi von der Universität von Katar in Doha. Sie führten in Katar zwischen Februar und Juli 2020 anhand elektronischer Patientendaten der staatlichen Krankenversicherung eine Fall-Kontroll-Studie mit insgesamt 568 Covid-Patienten durch: 40 Patienten mit Komplikationen als relativ kleine Fallgruppe und 528 Patienten ohne Komplikationen als Kontrollgruppe.

Komplikationen meinen hier einen schweren Verlauf von Covid-19 – das heißt Aufnahme auf die Intensivstation, künstliche Beatmung oder Tod. Ohne Komplikationen bedeutet, es erfolgt nur ein kurzer Krankenhausaufenthalt. Von den 40 Covid-Patienten mit Komplikationen litten 33 an Parodontitis. Ob eine Parodontitis vorliegt und, wenn ja, welchen Grad sie hat, wurde anhand der zahnmedizinischen Röntgenaufnahmen in derselben Patientendatenbank festgestellt.

Nachdem die Studienautoren Faktoren, die das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 erhöhen können, wie etwa starkes Übergewicht, Typ-2-Diabetes und Rauchen berücksichtigt hatten, zeigte sich: Eine Parodontitis verdreifachte das Risiko für Covid-19-Komplikationen. Weitere Ergebnisse: Covid-19-Patienten mit Parodontitis wurden 3,5-mal häufiger auf die Intensivstation eingewiesen, benötigten 4,5-mal häufiger eine künstliche Beatmung und verstarben fast neunmal häufiger als diejenigen ohne Parodontitis.

Zusammenhang prüfen

Die Ergebnisse sind aber mit Vorsicht zu genießen. Es ist nicht auszuschließen, dass in der Studie bislang nicht berücksichtigte Lebensstilfaktoren die Risikoeinschätzung verändern und zu einem niedrigeren Risiko von Corona-Komplikationen durch Parodontitis führen. Außerdem belegt die Studie keinen Ursache-Wirkung-Zusammenhang. Allerdings waren die Entzündungswerte bei Covid-19-Patienten mit moderater bis sehr schwerer Parodontitis deutlich höher als bei jenen mit einer milden oder nicht vorhandenen Parodontitis. Deshalb darf man davon ausgehen, dass chronisch-entzündliche Zahnbetterkrankungen tatsächlich einen schweren Verlauf fördern können.

Einer der Studienautoren, Mariano Sanz, hat zum Zusammenhang zwischen Corona-Komplikationen und Parodontitis noch eine weitere Idee. Er vermutet, dass manche Patienten im Mundraum vorhandene Parodontitis-Bakterien einatmen und diese dann in der Lunge eine zusätzliche bakterielle Infektion verursachen können – insbesondere wenn ein Beatmungsgerät verwendet wird. Der spanische Zahnmediziner empfiehlt dem Krankenhauspersonal deshalb, bei Covid-19-Patienten mit Parodontitis antibakterielle Mundspüllösungen zu verwenden.

Was jeder Einzelne machen kann

Bettina Dannewitz, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro), äußerte sich in einer Pressemitteilung zu dieser Studie folgendermaßen: "Die Feststellung und Aufrechterhaltung der parodontalen Gesundheit kann ein wichtiger Bestandteil der Versorgung von Covid-19-Patienten werden. Mundpflege sollte Teil der Gesundheitsempfehlungen sein, um das Risiko für schwere Covid-19-Verläufe zu verringern."

Sie empfiehlt gerade auch jetzt, in der Pandemiesituation, regelmäßige zahnärztliche Kontrolle in Anspruch zu nehmen, um so vermeidbare Risikofaktoren für einen schweren Verlauf zu verhindern. Zur täglichen Mundpflege gehört es auch, Zahnzwischenräume beispielsweise mit Zahnseide gründlich zu reinigen. Weiterhin ist es wichtig, regelmäßig zum Zahnarzt zu gehen, sodass dieser die Zähne im Hinblick auf eine Parodontitis genau betrachten kann.

Er wird etwa neugebildeten Zahnstein und Biofilme auf den Zähnen und auf Wurzeloberflächen entfernen. Bakteriengefüllte Zahnfleischtaschen werden – unter örtlicher Betäubung – gereinigt, entweder mechanisch mit Pulverstrahlsystemen oder mittels Laser, der eine zuvor in die Zahnfleischtasche eingebrachte Substanz aktiviert. Der dabei freigesetzte Sauerstoff ist bei Keimen wie Porphyromonas gingivalis nicht beliebt. Sie mögen es lieber anaerob.

In schweren Fällen setzt der Zahnarzt zusätzlich auch einmal ein Antibiotikum ein. Falls die Behandlung nicht ausreicht, kann ein kleiner chirurgischer Eingriff nötig werden, um Zahnsteinreste und Bakterien von Wurzelgabelungen und aus schwer zugänglichen Zahnfleischtaschen zu entfernen. Die Parodontitis-Behandlung ist nicht nur gut im Hinblick auf Covid-19. Sie kann auch einen etwaigen Typ-2-Diabetes lindern. (Gerlinde Felix, 23.3.2021)