Paris – Es war ein Vabanquespiel – und Emmanuel Macron hat es verloren. Während die Regierungen etlicher europäischer Länder schon früh einen dritten Lockdown beschlossen, glaubte der französische Präsident noch wochenlang, irgendwie darum herumzukommen.

Emmanuel Macron hat sich verzockt.
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Bloß eine nächtliche Ausgangssperre ab 18 Uhr ordnete er an – an die sich übrigens viele seiner Landsleute nicht hielten, zumal Polizeikontrollen eher selten sind. Vor wenigen Tagen erklärte Macron vor Jugendlichen, sie müssten sich nur noch "vier bis sechs Wochen" gedulden – dann werde alles wieder gut.

Doch am vergangenen Wochenende schossen die Fallzahlen in die Höhe: Fast 30.000 Neuansteckungen wurden an einem einzigen Tag registriert, am Mittwoch sogar 38.500. Zudem waren am Donnerstag 4.200 Notfallbetten mit Covid-19-Patienten belegt, die Intensivstationen sind damit ausgelastet; aus dem Großraum Paris müssen Dutzende von Patienten per Flugzeug in andere Landesteile verlegt werden.

Premierminister Jean Castex gab am Donnerstagabend bekannt, dass drei Großregionen mit ungefähr 20 Millionen Einwohnern ab Freitagnacht in den Lockdown versetzt werden. Betroffen sind die Ile-de-France, das heißt der ganze Großraum Paris, dazu die Hauts-de-France (Nordfrankreich) und die Côte d’Azur Euro um Nizza.

Der Premier räumte ein, dass er "keine guten Neuigkeiten" überbringe. Er wisse, dass die Franzosen erschöpft seien. Die Erfahrung mit den beiden ersten Viruswellen erlaube immerhin gewisse Ausnahmen. So bleiben die Schulen offen. Das Homeoffice gilt nur vier von fünf Wochentagen. Die Läden mit wichtigen Produkten – wozu in Frankreich auch die Buchhandlungen zählen – bleiben geöffnet; Boutiquen oder Friseure müssen aber dichtmachen. Sich fortzubewegen ist in einem Umkreis von zehn Kilometern erlaubt. Familientreffen und andere private Zusammenkünfte wie Barbecues sind aber untersagt.

Der Lockdown in wichtigen Ballungszentren – die fast auf ein Drittel der Landesbevölkerung von 66 Millionen Einwohnern kommen – stellt für die Staatsführung ein politischer Rückschlag dar. Eine Pariser Kommentatorin sprach nach Castex‘ Ankündigung von einem "Scheitern".

Nicht nur symbolisch

Für Macron ist der Schritt ein politischer Rückschlag, der gut ein Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen ins Gewicht fällt. Noch im Jänner hatte Macron seine Landsleute wissen lassen, Frankreich brauche keinen harten Lockdown-Kurs wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Selbstbewusst sagte sich der 43-jährige Präsident von seinem Wissenschaftsrat los, der ihn seit Beginn der Covidkrise eng beraten hatte.

Die Berater monierten, der Präsident denke offenbar, genug über Ursachen und Konsequenzen der Pandemie gelesen zu haben, um nun selbst entscheiden zu können. Und er entschied: nämlich dass Frankreich ohne dritten Lockdown durch die Krise kommen sollte.

"Nicht einmal im Traum"

Dass er nun doch noch zum verhassten "confinement" greifen muss, wird Macron aus einem einfachen Grund als persönliches Scheitern ausgelegt: Erfolg hätte seine Offenlassen-Strategie nur haben können, wenn die Impfkampagne in seinem Land parallel dazu ähnlich schnell vorangekommen wäre wie etwa in Großbritannien.

In Frankreich sind aber erst gut fünf Millionen Menschen geimpft, gerade mal sieben Prozent der Bevölkerung. In einem Monat soll diese Zahl verdoppelt sein, verspricht Premierminister Jean Castex. "Zehn Millionen Franzosen bis 15. April impfen? Nicht einmal im Traum", ätzte dazu der bekannte Notfallarzt Patrick Pelloux.

Die Zeitung Libération kommentierte, dass sich die 93 Prozent der nichtgeimpften Franzosen fragen müssten, "wo Macron seine versprochene Strategie versteckt hält". Um noch allgemeiner zu werden: "Wo ist der Schneid des jungen Präsidenten geblieben, wo seine Ambition, seine Vorstellung von Frankreich? Wohin führt er sein Land? Kein seriöser Mensch vermöchte dies zu sagen."

Laute Kritik an Macron

Die laute Kritik an Macron wirkt übertrieben, auch weil sich die Franzosen in Sachen Pandemie selbst nicht geradlinig verhalten. Gerade sind sie wieder sehr impfkritisch. Diese Haltung erklärt das Schneckentempo mindestens so sehr wie die bürokratischen oder logistischen Hemmnisse.

Zudem ist Macron stärker von EU-Partnern abhängig, als er zugeben könnte. Nach der Suspendierung des Impfstoffs von Astra Zeneca durch Deutschland hatte er gar keine Wahl, als mitzuziehen. Nach der Stellungnahme der Ema will Frankreich – so wie Deutschland – wieder mit Astra Zeneca impfen. Castex kündigte schon für Freitag seinen eigenen Impftermin an. (Stefan Brändle, 18.3.2021)