Seit 2018 befand sich Innsbrucks Viererkoalition in Dauerkalamitäten. Jetzt hat Bürgermeister Georg Willi das freie Spiel der Kräfte ausgerufen.

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Innsbruck – Sie stand am Abgrund – und ist jetzt in ebendiesen gefallen. Die Innsbrucker Viererkoalition aus Grünen, ÖVP, Für Innsbruck und SPÖ – ohnehin von vornherein mehr eine Zweck- als Liebesehe – taumelte monatelang vor sich hin. Retourkutsche folgte auf Retourkutsche. Die Wahl eines FPÖ-Vizebürgermeisters nahm Bürgermeister Georg Willi (Grüne) in Pandemiezeiten als Anlass für ein politisches Hasardeur-Spiel, er ging zum "freien Spiel der Kräfte" über. Zumindest vorerst.

Der 21. Jänner hatte bei Willi die Hutschnur platzen lassen: FPÖ-Mann Markus Lassenberger wurde vom Gemeinderat zum Vizebürgermeister gewählt und setzte sich dabei gegen SPÖ-Stadträtin Elisabeth Mayr durch. Der Stadtchef sah einen Affront, einen Bruch des Koalitionsabkommens, und machte Koalitionspartner Für Innsbruck für die Wahl des Freiheitlichen verantwortlich. Es war das vorweggenommene Ende eines Koalitionsmissverständnisses, das mit der Regierungsbildung im Jahr 2018 nach der Gemeinderatswahl seinen Ausgang genommen hatte.

Stichwahl gewonnen

Der Motor stotterte von Beginn, bis er vollkommen zum Erliegen kam. Willi hatte damals in einer Stichwahl gegen Amtschefin Christine Oppitz-Plörer (Für Innsbruck) gewonnen. Das langjährige Grünen-Urgestein, Landtags-Klubobmann und Nationalrat, war auf der kommunalen Ebene gelandet, wo seine politische Karriere einst als Gemeinderat seinen Ausgang genommen hatte. Er fand sich erstmals in einer führenden exekutiven Position wieder – auf Stadtebene, wo Politik für die Bürger vor allem sichtbar ist und weniger ein Ausfluss ideologischer Strategie-Debatten wie auf Bundes- oder auch Landesebene.

Politische Beobachter hatten nicht wenig oft den Eindruck, dass sich der 61-Jährige damit schwer tat und tut. Auch von einer nicht gerade funktionierenden Chemie zwischen dem engsten Kreis um Willi und der alteingesessenen Rathaus-Maschinerie war immer wieder die Rede. Zudem taten die innerkoalitionären, realpolitischen Verhältnisse ihr erschwerend-Übriges:

Alltagspolitische Problematik

Oppitz-Plörer blieb als Vizebürgermeisterin und Wirtschaftsstadträtin in der Stadtpolitik. Angesichts einer Politikerin ihres Ehrgeizes kein einfaches Unterfangen, glaubte und glaubt doch kaum ein Insider, dass sie sich auf Dauer mit dieser Position unter ihrem einstigen, obsiegenden Herausforderer Willi zufriedengibt. Hinzukam die alltagspolitische Problematik einer Viererkoalition an sich sowie die Tatsache, dass die Landeshauptstadt – salopp formuliert – finanziell einigermaßen klamm ist und von Anfang an keine großen Sprünge möglich waren.

Mit der Abwahl als Vizebürgermeisterin nach den Kostensteigerungen beim Bau der Patscherkofelbahn im Oktober, bei der die Grünen dafür stimmten, nahm das Koalitions-Unheil seinen Lauf. Willi öffnete damit die Büchse der Pandora. Der koalitionäre Weg in den Abgrund hatte im Dezember 2020 eine weitere Abwahl-Station: Grünen-Vizebürgermeisterin Uschi Schwarzl wurde unter anderem mit den Stimmen der Koalitionspartner ÖVP, SPÖ und FI abgewählt – wegen der Verordnung zur Errichtung einer temporären Begegnungszone.

Wahl von Lassenberger

Und schließlich im Jänner die Wahl Lassenbergers. Willi, ein lebenslanger politischer Gegner der Freiheitlichen, wollte nicht hinnehmen, dass ihn ein Blauer – wenn auch als nichts-amtsführender Vizebürgermeiste – politisch vertritt, wenn er gerade abwesend ist. Der Ideologe in Georg Willi kam zum Vorschein, voller Ärger und Wut über diesen von ihm so bezeichneten "Affront" inmitten seiner Viererkoalition. Der Polit-Fuchs suchte fortan andere Mehrheiten, scheiterte. Seitdem war die Koalition bereits keine Koalition mehr, das "freie Spiel der Kräfte" – von dem die Bürger laut Willi gar nichts merken werden – hatte schon eingesetzt.

Wohl nur die brennende und allgegenwärtige Corona-Pandemie verhindert derzeit Neuwahlen. Zu verheerend wäre wohl derzeit noch das politische Signal an die Pandemie-geplagten und überdrüssigen Menschen, ausgerechnet in dieser Zeit zu den Wahlurnen zu bitten.

Das Bild am Donnerstag nach dem Auszug der meisten Fraktionen – auch der Koalitionspartner vor der Abstimmung – war sinnbildlich: Willi allein zu Haus. Bis auf ein paar rote Mitstreiter. Der Bürgermeister muss jetzt kämpfen – nicht zuletzt um seine politische Zukunft. (APA, 18.3.2021)