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Oje, das schaut verdächtig nach Erpressung aus.

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Das Diensthandy läutete seit Wochen nicht. Endlich, so dachte ich, ist die Botschaft, dass man Millennials wie mich nicht anrufen braucht, bei allen Pressestellen des Landes angekommen. Dass die wichtigste Beziehung der zwischen 1981 und 1996 Geborenen mit ihren Smartphones geführt wird, sollte ja mittlerweile genauso ins Allgemeinwissen übergegangen sein wie der Fakt, dass ebendiese Generation ebenjene Smartphones für alles außer Anrufe verwendet.

Man nennt die Panik vor dem Callen und Gecalltwerden "phone anxiety" oder – noch viel großartiger: "telephobia". Bei Umfragen geben 70–80 Prozent der Millennials regelmäßig an, dass es ihnen kalt über den Rücken läuft, wenn es klingelt. Die millennialistische Denke geht ungefähr so: Wenn jemand anruft, wo es doch so viel stressfreiere Möglichkeiten gäbe, um in Kontakt zu treten (Mail, Signal, Telegram, Instagram-Nachricht, Brieftaube, Rauchzeichen ...), muss es wirklich, wirklich wichtig, also höchst unangenehm sein: Man wird gefeuert, verlassen, jemand ist gestorben oder ungewollt schwanger, jemand weiß ein dunkles Geheimnis über einen und will keinen Paper-Trail hinterlassen, also Erpressung.

Anrufe sind nicht Syphilis

Wenn mich meine Freundinnen oder Freunde anrufen, lautet meine Standardbegrüßung nicht "Hallo", sondern "Alles okay?", bei meinem Chef greine ich "Was habe ich falsch gemacht?" ins Telefon, und bei Gspusis "Welche Geschlechtskrankheit ist es?". So war es zumindest vor Corona, Lockdown und Homeoffice. Denn in dieser Zeit, auch das belegen Umfragen, haben viele Millennials ihre "phone anxiety" überwinden können. Das durch die Krise erhöhte Telefonieaufkommen – Mobilfunker können es belegen – führte dazu, dass auch unsere bescheuerte Generation verstanden hat, dass ein Anruf nicht Syphilis bedeuten muss. Sogar ich telefoniere schon wie ein Einser, weswegen ich auch abgehoben habe, als das Diensthandy kürzlich dann doch läutete.

Dran war eine Kollegin aus dem Büro, die mir mitteilte, dass mich kein Mensch erreichen kann, weil ich die Rufumleitung vom Festnetztelefon aufs Diensthandy nicht richtig eingestellt hatte. "Amira, für die Zukunft: Du musst eine Null vorwählen, wenn du aus dem Büro raustelefonieren willst, das gilt auch für die Rufumleitung." Wir lernen: Telephobie ist heilbar, Dummheit nicht. (Amira Ben Saoud, 19.3.2021)