Der "Retroavantgardist" Rogy bei einer Performance 1998 in Wien.
Foto: Kunsthalle Exnergasse

Rogy rutscht wie Sand durch die Finger", schreibt der Kunstpublizist und Historiker Wolfgang Koch zu Beginn seiner Biografie über Viktor Rogy. Es ist der erste Versuch, das Gesamtwerk des 2004 verstorbenen Extremkünstlers und Lebensphilosophen aus Kärnten zusammenzufassen. Eine Wucht an Leben prasselt da über einen herein. Person und Werk sind derart miteinander verknüpft, dass jede Tat zu Erlebnis und Performance wurde: "Er veranstaltete eine Kunst, die man nicht recht begreifen kann, wenn man sie allein als Kunst sieht."

Auf den 556 Seiten von Jeden Tag Cowboy. Viktor Rogy Der Kunstrebell vom Wörthersee arbeitet Koch die einzigartige Geschichte des Außenseiters und Einzelkämpfers akribisch auf. Seiner Meinung nach hatte Rogy zu den eigenwilligsten Kunstschaffenden der Nachkriegsmoderne gezählt – allerdings haben die meisten Menschen in Österreicher noch nie von ihm gehört.

Der große Unverstandene

Vom internationalen Kunstbetrieb "boykottiert", galt Rogy als "Kuratorenschreck" und fiel oft unangenehm auf. Dennoch stellte der "Retroavantgardist" in Wien, Villach und Klagenfurt aus. Gleichzeitig wollte er selbst nie richtig dazugehören. Wirklich verstanden habe ihn wohl nie jemand, gibt Koch zu. Rogy wollte "mit Gewalt als der große Unverstandene dastehen".

Schnell wird klar: Den Gesamtkünstler auf ein einziges Genre festzulegen ist schier unmöglich. Rogy tänzelte (und torkelte) von Lyrik zu minimalistischer Bildhauerei und Readymades. Er zeichnete fast 700 Künstlerpostkarten und Kalligrafien auf Wirtshausblöcke, gestaltete minimalistische Inneneinrichtungen und landete schließlich bei Performances. Seine Vorbilder waren Sokrates, Marcel Duchamp, Adolf Loos und der mystische Malerautor Bô Yin Râ. Als Rogys bekanntestes Werk gilt die Verspiegelung der Fenster der Evangelischen Stadtkirche in Villach.

Ranger im Gartenhaus

Koch gelingt es, Rogy als schillernden Charakter zu zeigen, ihn dabei aber nicht zu heroisieren. Nüchtern und intensiv beschreibt der Biograf auch die negativen Seiten des Ausnahmekünstlers und "Rangers". Denn Rogy war auch grober Macho, Wirtshausredner, Stalker, Choleriker und verrückter Schmähführer.

Sein Frauenbild war ein durchaus problematisches, die Frauenbewegung nannte er provokant "Efrauzipation". Auch sein omnipräsenter Alkoholkonsum wird nicht ausgespart. Koch schreibt, dass Rogys Wortspiele oftmals weniger mit Dada als mit "handfestem Alkoholiker-Humor" zu tun hatten. Rogy selbst nannte sich "Kettentrinker".

Sein Leben lang fehlte ihm das Geld, er arbeitete als Maurer, Stuckateur und Zirkusarbeiter. Hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und lebte drei Jahrzehnte lang im Gartenhaus von Maria Lassnig in Klagenfurt, das er liebevoll "Schloss Sorgenlos" taufte. Dennoch sagte er 1978 nach einer Ausstellung im Kunstverein Kärnten, er sei bereits von Geburt an Bildhauer gewesen. Nichts ließ ihn daran zweifeln, was und wer er war.

Rogy auf Instagram?

Vielleicht hätte der 1924 in Gailitz bei Arnoldstein geborene Rogy doch besser ins digitalisierte Heute gepasst? Insbesondere seine exzentrische Selbstdarstellung hätte sich ausgezeichnet in die schnellen Bildströme einfügen können. Er wollte auffallen: Seine maßgeschneiderten Anzüge ließ er sich lange Zeit zu eng und kurz anfertigen, trug sie mit Gürtel, Strick und Hosenträgern. Ab den 1980er-Jahren wurde er nur noch mit Grimasse fotografiert. Wahrscheinlich hätten ihm die Likes und Shitstorms getaugt.

Elegant bettet Koch das Schaffen Rogys in die historischen Ereignisse und das lokale und internationale Kunstgeschehen ein. Warhol produzierte Siebdrucke, Beuys trat mit seinem Eurasienstab auf und Lassnig stellte bei der Venedig-Biennale aus – was trieb Rogy inzwischen?

Politischer Aktivist

Seinen "Moment of Fame" hatte er schließlich 2000, als er mit seiner zweiten Frau Bella Ban sämtliche Mitglieder der neuen schwarz-blauen Regierung mit Hitlerbärtchen und Jörg Haider mit Hakenkreuz karikierte und in das Schaufenster des von ihm gestalteten Künstlercafés OM stellte. Die Veröffentlichung der daraufhin angedrohten Schließung – Rogy: "Hier gibt’s keine Jauche zu trinken Nazis raus" – wurde zum Politikum und schaffte es sogar in die New York Times.

Vier Jahre später starb Rogy an Bauchspeicheldrüsenkrebs. "Wenn er weg ist, wird die Kunst wieder gar nichts sein", reagierten Freunde. Doch er fehlte nur wenigen, heißt es am Ende der Biografie. Rogy als Gesamtkunstwerk bleibt. Trotzdem. (Katharina Rustler, 19.3.2021)