Ann Cairns ist eine der wenigen Frauen in Europa, die wirklich große Karriere in der Konzernwelt gemacht haben. Die studierte Mathematikerin hatte führende Positionen in der Bankenwelt – etwa Citigroup und Abn Amro – inne, war als erste Frau offshore für British Gas tätig und ist seit 2011 im globalen Managementboard von Mastercard Vizepräsidentin für Inklusion, Diversität und Innovation. Zudem sitzt sie unter anderem dem "Club 30 Prozent" vor, einem globalen CEO-Gremium, das sich unter anderem der freiwilligen Frauenquote verschrieben hat. Sie hält ein namhaftes Aktienpaket an Mastercard und darf in die Reihen der Spitzenverdienerinnen eingereiht werden.

STANDARD: Die Pandemie hat Frauen im Arbeitsleben härter getroffen als Männer: mehr Jobverluste, Zwang zur Entscheidung für die Familie statt für die Karriere, mehr Care-Arbeit. Executive Searcher sprechen sogar von einem "wipe out" und fragen bange, ob die Frauen je wieder zurückkommen werden ...

Cairns: Ja, das ist definitiv weltweit so, in unterschiedlicher Ausprägung. In den ersten Monaten des Jahres hat der Jobmarkt etwa in den USA für Männer wieder angezogen, für Frauen nicht. Vizepräsidentin Kamala Harris spricht ja sogar von einem "nationalen Notstand".

STANDARD: Was ist an den Rahmenbedingungen sofort zu ändern?

Cairns: Es ist zuerst an zwei Enden anzusetzen: Frauen von der Pflegearbeit entlasten, indem das Pflegesystem auf neue Beine gestellt wird, und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung zur Verfügung stellen. Zwischen diesen beiden Enden können Unternehmen wirklich viel bewirken. Unser CEO hat im Vorjahr versprochen, dass niemand wegen Covid-19 seinen Job verlieren wird.

STANDARD: Und hat er das Versprechen gehalten?

Cairns: Klar, sonst hätte ich das doch nicht erwähnt!

Zweifellos eine Lady, allerdings nicht mit traditionellen Wohlverhaltensmustern in der Businesswelt. Dort sollten Frauen nicht geduldig warten, sagt Ann Cairns.
Foto: Sam Frost

STANDARD: Mastercard weist global einen Gender-Pay-Gap von acht Prozent aus. Ein Grund zur Freude?

Cairns: Ich finde das ziemlich gut. Diese Berechnung läuft ja über unsere 210 Länder. Der aus meiner Sicht größte Hebel zur Gleichstellung ist allerdings die vollbezahlte viermonatige Mutter- und Vaterschaftskarenz. Die gilt natürlich auch bei Adoptionen von gleichgeschlechtlichen Paaren. Das ändert so vieles! Dann hört sich auf, junge Frauen mit dem Gedanken einzustellen: Oh, die könnte ja schwanger werden. Dann werden junge Frauen und junge Männer nach und nach betrachtet als: Ja, die gehen irgendwann vielleicht in Karenz, gleichermaßen. Das schafft gleiche Bedingungen. 70 Prozent der Männer gehen übrigens auch in diese Karenz – ein Zeichen für die Effektivität dieser Maßnahme.

STANDARD: Eine Frage an die Präsidentin des Club 30 Prozent: Warum kein Bekenntnis zur gesetzlichen Quote – und warum nicht 50 Prozent?

Cairns: Wir versuchen, hier die CEOs der 1200 international großen Unternehmen dazu zu kriegen, 30 Prozent Frauen in ihren Boards wirklich zu wollen. Die Argumente, die Datenlage der besseren Performance gemischter Boards und der Druck der Investoren sind dafür schlagende Argumente. 50 Prozent – ja, das werde ich oft gefragt: Wir sind global aufgestellt. In manchen Ländern ist 30 Prozent schon sehr schwer vorstellbar ...

STANDARD: Gibt es so etwas wie Female Leadership?

Cairns: Es ist eine Frage der Persönlichkeit, auch der Kultur, ich würde nicht maskulin und feminin unterscheiden. Es steht immer die Glaubwürdigkeit einer Persönlichkeit im Fokus. Das schafft auch die Verbindung zur New Leadership: Progressive Firmen geben Jungen eine Stimme und auch Sitze im Board, hören sehr genau zu. Whitewashing und Pinkwashing geht ja sowieso nicht mehr – es ist alles transparent. Und das ist gut. Es ist draußen, wie es drinnen wirklich zugeht. Ich glaube, dass Unternehmen, die das nicht so handhaben, künftig ein großes Problem haben werden.

STANDARD: Sie sitzen im Homeoffice in London – gern?

Cairns: Ich hoffe, wie gehen nicht wieder zurück in die Office-Präsenzwelt! Die CEOs im Club 30 Prozent erwarten auch alle, dass die Zukunft eine hybride Lösung zwischen Büro und Homeoffice sein wird. Ich persönlich bin vor der Pandemie 44 Wochen im Jahr gereist. Jetzt arbeite ich tatsächlich länger, lese kein Buch beim Warten am Airport, fahre nicht mehr Stunden im Taxi, ich gehe nur einmal kurz spazieren ...

STANDARD: Wie formulieren Sie Ihren ganz persönlichen Purpose?

Cairns: Eines meiner großen Lebensziele ist es, den Gap zu verkleinern zwischen Männern und Frauen. In der Businesswelt beizutragen, dass Frauen ihren Anteil an der Gestaltung der Gesellschaft, ihren Platz, beanspruchen und den auch bekommen. Wir sind die halbe Welt, aber 90 Prozent der großen Companys sind von Männern geführt. Das ist doch ein massives Ungleichgewicht! Dieser Gap an Teilhabe und Chancen auf allen Ebenen sollte doch nicht sein, er ist doch auch schlecht für die Welt! Das ist auch eine gute Seite an meiner Position jetzt bei Mastercard: Ich muss die Karriereleiter nicht mehr hochsteigen, habe daher die Freiheit zu sagen, was ich denke.

STANDARD: Ihr Rat an junge Frauen?

Cairns: Ich habe zwei Ratschläge: Wenn dein Chef dich nicht wertschätzt, dann geh und such dir einen neuen. Und: Sei keine Lady, die geduldig in einer Warteposition verharrt! (Karin Bauer, 21.3.2021)