Sonys neue Profikamera Alpha 1 überzeugt im Test als Alleskönner.

Foto: Mickey Manakas

Bewerben Hersteller ihre neu vorgestellten Kameras mit allzu vielen großartig klingenden Funktionen, hegen sowohl Fotografen als auch Videografen meist eine gewisse Skepsis. Zu Recht, möchte man in Erinnerung an die Überhitzungsprobleme der Canon R5 meinen. Um herauszufinden, ob Sonys neue Profikamera Alpha 1 die versprochenen Funktionen – unter anderem Videoaufnahmen in 8K und Serienaufnahmen mit 30 Bildern pro Sekunde – liefern kann, hat DER STANDARD das Gerät für mehrere Tage auf Herz und Nieren geprüft. Dabei hat sich gezeigt, dass die 7300 Euro teure Kamera zu begeistern weiß. Denn sie vereint zahlreiche Funktionen mehrerer Topmodelle der A7-Serie in einem Gerät.

Die Zielgruppe der Alpha 1 scheint dabei klar: nämlich Profis, die sowohl solide Foto- als auch Videofunktionen benötigen und diese gerne in einem Gerät vereint sehen würden. Ein Versuch, mit dem der japanische Konzern erfolgreich sein könnte und mit dem vermutlich auch manch Hardcore-Fan angelockt wird.

Eine wichtige Information vorab: Wer Beispielfotos (JPEG und Raw) im Detail betrachten will, sei auf die zugehörigen Google-Drive-Ordner verwiesen, wo einige zusätzliche Aufnahmen und ein ISO-Test zu finden sind.

Solide 8K-Aufnahmen für alle, die es sich leisten können

Mit Blick auf den Funktionsumfang sticht sofort die Möglichkeit heraus, Videos mit einer maximalen Auflösung von 8K bei 30 Bildern pro Sekunde aufzunehmen. Dabei liefert die Kamera bei Nutzung des vollen Sensors eine Farbtiefe von 10 Bit, für die Datenübertragung stehen wahlweise 400 Mbit/S und 200 Mbit/S zur Verfügung.

Das Foto wurde mit der Sony Alpha 1 und dem 16-35mm-G-Master-Objektiv aufgenommen. Es handelt sich um eine leicht bearbeitete Raw-Aufnahme, die anschließend als JPEG aus Photoshop exportiert wurde.
Foto: Mickey Manakas

Für Slow-Motion-Aufnahmen muss man hingegen in den 4K-Modus wechseln, der Aufnahmen mit maximal 120 Bildern pro Sekunde ermöglicht. Zudem kann hier zwischen der Nutzung des gesamten Vollformatsensors (mit Pixel Binning) oder einem Super-35-Modus gewählt werden. Aktiviert man letzteren, erhält man durch sogenanntes Oversampling eine Auflösung von 5,8K, allerdings muss man sich mit einem 1,5-fachen Cropfaktor zufriedengeben. In beiden Fällen weiß die Alpha 1 mit für Sony typischer Qualität zu begeistern. Die Farben sind akkurat, die Bildqualität dank der hochauflösenden Aufnahmemodi hervorragend, und auch die Low-Light-Performance muss sich nicht verstecken.

Überhitzungsprobleme ade?

Vor Veröffentlichung hieß es bereits, dass eine neue Struktur zur Wärmeableitung zum Einsatz kommen soll, um eine allzu schnelle Überhitzung während Videoaufnahmen zu verhindern. Versprochen wurde, dass Aufnahmen in 8K- und 4K-Auflösung dadurch für mindestens 30 Minuten am Stück möglich sein werden. In Erinnerung an die Überhitzungsprobleme der Canon R5 hat der STANDARD – wohlgemerkt unter kontrollierten Bedingungen – getestet, wie lange die Aufnahme tatsächlich möglich ist. Dabei zeigte sich, dass nach etwa 87 Minuten zwar der eingesetzte Akku leer war, zu einer Abschaltung wegen Überhitzung kam es im Laufe des Tests hingegen nicht.

Wie sich die Alpha 1 unter realen, womöglich wechselhaften Bedingungen und Temperaturen schlägt, kann natürlich stark variieren. Es scheint jedoch unwahrscheinlich, dass die Kamera im alltäglichen Einsatz an ihre Grenzen gebracht wird. Denn außer bei Interviews oder während Podcast-Aufnahmen wird es vermutlich eher seltener vorkommen, dass mehr als 90 Minuten ohne Unterbrechung gefilmt werden muss. Möchte man den vollen Funktionsumfang, also den 8K-Modus, wirklich ausnutzen, empfiehlt es sich jedoch, in weitere Akkus und die schnellen (aber teuren) CFExpress-Type-A-Speicherkarten zu investieren.

Low-Light-Video trotz vieler Megapixel

Auch bei schlechteren Lichtverhältnissen kann die Alpha 1 trotz hochauflösendem Sensor mit der Konkurrenz mithalten, und wird im Vergleich mit anderen Spiegellosen Hybridkameras eigentlich nur von der Sony A7SIII ausgestochen. Diese ist mit ihrem 12-Megapixel-Sensor jedoch regelrecht berühmt für ihre Low-Light-Performance.

Dieses Foto ist eine unbearbeitete Raw-Aufnahme, die anschließend aus Photoshop als JPEG exportiert wurde.
Foto: Mickey Manakas

Die Alpha 1 weiß hingegen insbesondere bis ISO 6400 zu begeistern, bei entsprechender Korrektur des Bildrauschens sind die Aufnahmen aber auch darüber hinaus durchaus nutzbar. Zudem ist klar ersichtlich, dass sich das Bild bei ISO 4000 "säubert", also ungewöhnlich wenig Bildrauschen für den hohen ISO-Wert aufweist. Zum Vergleich: Bei der A7SIII passiert dasselbe bei ISO 12.800.

Blitzschnelle Serienaufnahmen

Wenig überraschend liefert der rückseitig belichtete 50-Megapixel-Sensor auch für Fotografen beeindruckende Ergebnisse. Selbst bei 100- bis 200-facher Vergrößerung strotzen die Raw-Dateien nur so vor Details, und auch Sonys Farbalgorithmus hat sich in den letzten Jahren zu einem der wohl besten am Markt entwickelt. Insbesondere begeistert im Fotomodus die Möglichkeit, Serienaufnahmen mit 30 Bildern pro Sekunde aufzunehmen, was vermutlich insbesondere Sport- und Tierfotografen zugute kommen wird.

Gerade in Verbindung mit dem blitzschnellen Autofokus, der neben dem Tracking von Menschen- und Tieraugen jetzt sogar Vögel – obwohl unklar ist, warum sie extra gelistet werden – erkennt, scheint einem kaum eine Aufnahme mehr zu entgehen. Im Test wurden Augen ohne Verzögerung erkannt, auf diese fokussiert und dank des schnellen Bionz-XR-Prozessors nicht mehr losgelassen. Selbst bei schnellen Bewegungen ist das Tracking verlässlich und erkennt Gesichter und Augen selbst im Profil noch.

Lichtempfindlichkeit für Fotografen

Für Fotografen ergibt sich hinsichtlich der Nutzung hoher ISO-Werte ein ähnliches Bild wie bei Videoaufnahmen. Während aufgrund des hochauflösenden Sensors bereits ab ISO 3200 ein sichtbare Bildrauschen zu erkennen ist, das in der Nachbearbeitung jedoch gekontert werden kann, zeigt sich ab ISO 12.800 ein erheblicher Detail- und Kontrastverlust. Außerdem tritt ab diesem Wert bereits ein starker Color Shift auf.

Hier zu sehen: ein direkter Vergleich von Aufnahmen mit ISO 3200 (links), mit ISO 6400 (mittig) und ISO 12800 (rechts).
Foto: Mickey Manakas

Ein Sucher, der zu begeistern weiß

Auch der verbaute Monitor dürfte Sony-Nutzern bekannt sein. Er ist im Gegensatz zur A7SIII nicht seitlich ausschwenkbar und löst bloß mit etwa 1,4 Millionen Bildpunkten auf. Dafür weiß der Sucher umso mehr zu begeistern – und erfüllt, ja übertrifft die Erwartungen an eine Kamera, die mehr als 7000 Euro kostet. Bei einer 0,90-fachen Vergrößerung und einer Sucherabdeckung von 100 Prozent löst dieser nämlich mit beeindruckenden 9,44 Millionen Bildpunkten auf. Zum Vergleich: Der Sucher der 5400 Euro teuren Sony A9II löst mit 3,6 Millionen Bildpunkten auf. Hinzu kommt, dass man bei der Alpha 1 zwischen drei unterschiedlichen Bildwiederholraten wählen kann.

Während standardmäßig 60 Bilder pro Sekunde eingestellt sind, gibt es einen "High"-Modus mit einer Bildfrequenz von 120 FPS und darüber hinaus einen "Higher"-Modus, mit dem die Bildwiederholrate auf stolze 240 Bilder pro Sekunde gesteigert wird. Was auf den ersten Blick vielleicht wie ein nettes Gimmick wirken mag, macht selbst bei realer Nutzung einen erheblichen Unterschied und lässt einen darauf hoffen, dass eine entsprechende Funktion in Zukunft zum Branchenstandard wird.

Das Gehäuse ist bekannt

Wer schon einmal eine Kamera der A7-Serie in der Hand gehalten hat, wird sich mit der Alpha 1 sofort wie zuhause fühlen. Denn bezüglich der Tastenpositionierung ähnelt sie stark der A7SIII und A7RIV. Neu ist ein auf der linken Oberseite angebrachtes Funktionsrad, mit dem die Autofokus-Modi geändert und zwischen Serienbild- und Einzelaufnahmen gewechselt werden kann.

Auch Anschlussmöglichkeiten müssen keine vermisst werden. Zusätzlich zu den üblichen Mikrofon- und Kopfhörerbuchsen gibt es neben einem vollwertigen HDMI- auch einen USB-C-Anschluss. Zudem kommt das von der A7SIII bekannte, erneuerte Menüsystem zum Einsatz. Zugegebenermaßen findet man gesuchte Einstellungen inzwischen tatsächlich leichter als früher. Teilweise verirrt man sich jedoch auch heute noch in den zahlreichen Untermenüs mit schier endlosen Personalisierungsmöglichkeiten. Hat man das Gerät erst mal den eigenen Vorlieben eingerichtet, wird das jedoch zu einem eher kleineren Problem.

Auch hierbei handelt es sich um unbearbeitete Fotos, die nach Aufnahme im Raw-Format als JPEG exportiert wurden.
Foto: Mickey Manakas

Fazit

Was Sony mit der Alpha 1 abgeliefert hat, ist erstaunlich. Bedenkt man, dass sowohl für Profis als auch Enthusiasten lange Zeit die Marken Canon und Nikon klar im Vordergrund standen, verpassten beide Konzerne den Wechsel von DSLR-Kameras zu spiegellosen Technologien. Das ermöglichte Sony, dank des Kaufs der Kamerasparte von Minolta rasch an den Platzhirschen vorbeizuziehen und sich am Markt zu etablieren. Zwar ist inzwischen sowohl die Nikon-Z-Serie als auch die Canon-R-Serie zum Kauf erhältlich, jedoch scheint Sony der Konkurrenz stets einen Schritt voraus zu sein.

Dieser Eindruck bestätigt sich im Test der Alpha 1. Offensichtlich ist es dem japanischen Konzern nämlich gelungen, quasi alle modernen Technologien in ein erstaunlich kompaktes Gehäuse zu packen. Dass dabei ein realistisch nutzbarer 8K-Modus und ein 50-Megapixel-Sensor mit einem verlässlichen, schnellen Autofokus und einem hochauflösenden Sucher garniert wurden, ist durchaus beeindruckend. Auf der Suche nach all diesen Funktionen wäre bisher nämlich mindestens der Kauf einer A7RIV und A7SIII notwendig gewesen. Bedenkt man also, dass man mit der Alpha 1 die kombinierte Leistung mehrerer Profikameras geliefert bekommt, erscheinen auch 7300 Euro gar nicht mehr so teuer. (Mickey Manakas, 20.3.2021)