Demo durch die Innenstadt von Wien am 13. Februar.

Markus Sulzbacher

Er führt Corona-Demonstrationen in Wien an, ist auf der Bühne, wenn eine Regenbogenfahne zerrissen wird, und wettert in sozialen Medien gegen die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie. Auf den Demos ist er unter den Ersten, die den Schlachtruf der Bewegung, "Kurz muss weg", skandieren. Sein Engagement hat ihm bereits mehrere Verhaftungen eingebracht. Seither gilt der 38-jährige Kärntner Martin Rutter als einer der Anführer des "Corona-Widerstands" in Österreich. Die FPÖ nutzt ein Foto einer seiner Verhaftungen, um ihre Rechtshilfe für Demonstrierende zu bewerben. Dabei war Rutter noch 2019 als BZÖ-Spitzenkandidat ein politischer Konkurrent der Freiheitlichen. Seine politische Karriere startete er aber bei den Grünen.

BZÖ-Spitzenkandidat

Bei der Nationalratswahl 2019 trat er als Spitzenkandidat des einst von Jörg Haider ins Leben gerufenen Bündnisses Zukunft Österreich (BZÖ) an, das sich nur in Kärnten unter der Listenbezeichnung "Allianz der Patrioten" den Wahlen stellte und mit lediglich 0,02 Prozent der Stimmen ein mageres Ergebnis einfuhr. Bevor Rutter zusagte, versuchte das BZÖ Martin Sellner, den Sprecher der rechtsextremen Identitären, als Kandidaten zu gewinnen. Dieser winkte jedoch ab. Das Angebot sorgte für Ungemach in der Partei, als Reaktion löste sich das BZÖ Wien auf. Sellner erzählte später bei einer Kundgebung, dass er dem freiheitlichen Klubobmann Herbert Kickl bei der Wahl seine Stimme gegeben habe.

Während des Wahlkampfs sprach sich Rutter vehement gegen 5G-Mobilfunk aus, da dieser "reelle Gefahren, wahrscheinlich sogar massive Folgeschäden bei Mensch, Tier und Natur" bringe, wie er in einer Aussendung schrieb. Die neue Mobilfunkgeneration treibt viele Menschen um. Schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie gab es zahlreiche Verschwörungsmythen. Auf den Demos ist 5G immer wieder ein Thema, auf Transparenten wird vor dessen angeblich gesundheitsschädlicher Wirkung gewarnt, oder es wird gar für die Verbreitung von Corona verantwortlich gemacht.

Zuerst Demonstrant, dann Redner am Ulrichsberg

Vor seiner Kandidatur für das BZÖ saß Rutter zwischen 2013 und 2017 für das Team Kärnten im Landtag. Die vom Industriellen Frank Stronach ins Leben gerufene Partei trennte sich aber 2017 von ihm, nachdem er beim Ulrichsbergstreffen als Festredner aufgetreten war, einer jährlich stattfindenden Veranstaltung, bei der auch Ewiggestrige und Veteranen der Waffen-SS in Österreich zusammenkommen.

Jahre zuvor demonstrierte Rutter noch gegen diese Veranstaltung, als er bei der den Grünen nahestehenden Studierendenorganisation Grüne & Alternative Student_innen (Gras) aktiv war. Im Jahr 2005 kandidierte er bei der ÖH-Wahl an der Universität Klagenfurt. 2009 wurde er stellvertretender Obmann der Grünen Klagenfurt und im folgenden Jahr Obmann für den Bezirk Klagenfurt-Land. 2012 wechselte Rutter in das Team Stronach Kärnten. In sozialen Medien bezeichnet er sich selbst als "Systemkritiker". Fragen zu seinen Parteiwechseln und seiner politischen Verortung wollte Rutter dem STANDARD nicht beantworten.

Martin Rutter im Jänner bei einer Demo in Wien.
Markus Sulzbacher

Ein Bekannter aus seiner Zeit bei den Grünen beschreibt ihn als "politisch naiven Aktivisten, der aber immer mit Herzblut dabei war". Seiner Einschätzung nach waren Rutter die Grünen oftmals "zu dogmatisch", eine "Verbotspartei". Er habe aber auch immer wieder davon geredet, dass "rechts und links als Kategorien obsolet" seien, und er hatte schon damals weniger "Berührungsängste zur Rechten, als man es von einem Gras-Aktivisten eigentlich erwarten hätte können". Verschwörungserzählungen habe er aber damals noch nicht verbreitet, sagt der ehemalige Mitstreiter.

Im vergangenen Jahr tauchte Rutter bei den Corona-Demonstrationen auf. Er verbreitet in seinen Beiträgen auf sozialen Medien Inhalte der Identitären und der Parallelorganisation "Die Österreicher", die bei Corona-Kundgebungen regelmäßig anzutreffen sind. Wie andere aus dem Milieu bittet auch Rutter seine Gefolgschaft auf Facebook und Telegram, ihm Geld zu spenden. Etwa für ein Medienprojekt.

Eine nicht rechtskräftige Verurteilung wegen Verhetzung kassierte Rutter vor einigen Tagen, nachdem auf einer von ihm mitorganisierten Kundgebung auf der Bühne vor der Wiener Karlskirche eine Regenbogenfahne zerrissen worden war. Da er diesen Aktionismus verteidigte, landete er vor Gericht.

Antideutsche, Auhirsche und US-Spione

Rutter ist nicht der Erste, der die politischen Seiten gewechselt hat. Es kommt immer wieder vor, dass Politiker, Aktivisten oder Publizisten mit ihrem Umfeld brechen oder damit liebäugeln. Auch bei den Grünen gab es Bezirkspolitiker, die gewechselt sind. Etwa in den Sessel eines freiheitlichen Vizebürgermeisters einer steirischen Stadt.

Ein berühmtes Beispiel für Passagiere, die von links nach rechts segeln, ist der Deutsche Jürgen Elsässer, der Herausgeber des "Compact"-Magazins, das auf Corona-Demonstrationen in Wien verkauft wird. Einst ein glühender Kommunist, der leidenschaftlich und scharf gegen jeden Antisemitismus auftrat und die Entstehung der linksradikalen "Antideutschen"-Bewegung zeitweise beeinflusste, tritt nun als väterlicher Freund der Identitären und Stichwortgeber der Alternative für Deutschland (AfD) auf.

In Österreich sorgte der 2006 verstorbene linke Publizist und "Auhirsch" Günther Nenning für Erstaunen und Kritik, als er Anfang der 1990er-Jahre in rechten Zeitschriften publizierte und vor Burschenschaftern auftrat. Und zwar ausgerechnet in der betont deutschnationalen Wiener Burschenschaft Olympia. Als seine Tätigkeit im rechten Lager durch einen "Falter"-Artikel publik wurde, hielt sich Nenning wieder mit seinen ideologischen Ausflügen zurück.

Spektakulärer war hingegen die politische Reise von Erich Kernmayr, der bereits Anfang der 1920er-Jahre der KPÖ beitrat. 1934 wurde er wegen kommunistischer Betätigung inhaftiert – vier Jahre später trat er dann der SA und der NSDAP bei. Während des Zweiten Weltkriegs war er bei einer SS-Propagandakompanie tätig. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Agent für den US-amerikanischen Geheimdienst CIC, beteiligte sich an der Gründung des Verbands der Unabhängigen, des Vorläufers der FPÖ, und war Chefredakteur rechtsextremer Blätter. (Markus Sulzbacher, 19.3.2021)