Es macht immer Spaß, ungewöhnliche Menschen an gewöhnlichen Orten zu sehen. Können Sie sich noch an Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart erinnern? Die Crew der Enterprise muss ins Jahr 1986 zurückreisen, um mit Walen zu kommunizieren, und sieht sich mit allen Belangen der 1980er-Jahre konfrontiert. Legendär die Szene, in der Scotty die Maus eines alten Macintosh in die Hand nimmt und sagt: "Computer. Com-PU-ter?"

Diese Situationen in Film und Fernsehen machen Spaß, weil sie etwas Ungewöhnliches nehmen und es mit dem Ordinären verbinden. Eigentlich waren die 1980er-Jahre damals (der Film kam 1986 raus) die Normalität – nur eben nicht im Star Trek-Universum. Wie reagieren unsere Helden auf das, was wir Alltag nennen, wenn ihnen Gadgets, Kontext und Umgangsformen fehlen? Ein Garant für Lacher.

Falcon und der Winter Soldier: ein ungleiches Paar, das vor den gleichen Problemen steht. Wie tritt man in die Fußstapfen der legendären Helden von gestern?
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Air Force und Therapie

In eine ähnliche Kerbe schlägt die am Freitag gestartete Marvel-Serie The Falcon and the Winter Soldier auf Disney Plus. Wie auch schon WandaVision setzt die Serie nach den Er eignissen von Avengers: Endgame an und zeigt eine Welt nach dem (Achtung, Spoiler!) Tod von Thanos und der Wiederkehr der Hälfte der Menschheit. Wie geht eine Gesellschaft damit um, die fünf Jahre lang um 50 Prozent dezimiert war und jetzt wieder aus allen Nähten platzt? Was machen Helden, wenn keine kosmische Bedrohung an die Erdatmosphäre klopft?

Die erste Folge zeigt, wie viel Potenzial darin steckt. Doch zuerst zu den namensgebenden Hauptcharakteren: Falcon, im echten Leben Sam Wilson (Anthony Mackie), arbeitet mittlerweile mit der Air Force zusammen. Das passt wie die Faust aufs Auge, ist Falcon, wie der Name vermuten lässt, doch mit wendigen (mechanischen) Flügeln ausgestattet, die ihn zu einer absoluten Waffe in der Luft machen.

Der Winter Soldier ist James "Bucky" Barnes (Sebastian Stan), ehemaliger bester Freund von Steve Rogers (Captain America), an dem nach dem Zweiten Weltkrieg Experimente durchgeführt wurden, die dazu führten, dass er seine Erinnerung verlor – und fortan zum seelenlosen Attentäter der Bösen wurde. Nach einer Art Rehaaufenthalt in Wakanda gehört der Winter Soldier aber wieder zu den Guten und ist in Therapie, denn ihn verfolgen Albträume seiner Vergangenheit.

Das wohl Auffälligste im Vergleich zu WandaVision: Die typische Marvel-Action ist wieder da. Falcon muss einen Soldaten aus den Fängen von Terroristen retten und legt dabei eine ganze Hubschrauber flotte der Bösewichte in Schutt und Asche. Das sieht alles verdammt gut aus, ist schnell geschnitten – und hat die eine oder andere Logiklücke. Wie zur Hölle sollen die Terroristen mit ihren billigen Wingsuits genauso beweglich sein wie Falcon, der mit feinster Stark-Technologie ausgerüstet ist?

Die Perspektive auf Bucky ist hingegen ruhiger. Wie erwähnt, er befindet sich in Therapie und führt eine Liste mit offenen Enden aus seiner Vergangenheit, die er gerne verknoten würde. Seine Therapeutin wirft ihm vor, zu wenig gegen seine Einsamkeit zu tun. Doch, wie Bucky selbst sagt, nach 90 Jahren Kampf ist es schwer, ein normales Leben zu führen. "Du bist frei", sagt seine Therapeutin. "Um was zu tun?", erwidert der Winter Soldier.

Wird Sam der Nachfolger von Captain America?
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Hier zeigt sich einmal mehr die Stärke des Marvel Cinematic Universe im Serien-Format: Es ist genügend Zeit da. Zwar beginnt The Falcon and the Winter Soldier mit einer längeren Actionszene, es bleibt aber fast nur bei dieser. Den Rest der Laufzeit entwickeln sich die Charaktere, wird die Gesellschaft abgebildet, werden ungewöhnliche Menschen an gewöhnlichen Orten gezeigt. Wir bekommen ein Gefühl für die Welt um die Heldengruppe herum, die vorher in den Filmen meist nur Mittel zum Zweck war.

Gleiches gilt für Falcon. Dessen Schwester muss den alten Familienkutter führen, der auseinanderzufallen droht. Sam, der sich von seinem Status als Falcon einen Popularitätsbonus bei der Bank erhofft, will helfen, einen Kredit zu ergattern. Doch er scheitert. Mit "Wovon haben Sie gelebt?" stellt der Bankier eine gute Frage. Wie wurden die Avengers bezahlt?

Gags, Gags, Gags

Das alles hat eine durchaus tiefgreifende und philosophische Ader, schreit aber gleichzeitig auch nach vielen Gags. Beispielsweise wenn der Bankier Falcon um ein Selfie bittet, "Vielleicht mit den Flügeln?". Oder wenn Bucky auf einem Date zu hören bekommt: "Du hörst dich an wie mein Vater. Moment, wie alt bist du eigentlich?" und er mit "106" antwortet. Oder wenn ein Soldat der Air Force zu Falcon sagt, er habe gehört, dass Captain America weiterlebt – auf einer geheimen Basis auf dem Mond. "Könntest du bis zum Mond fliegen, Sam?" – "Nein."

Apropos Captain America. Der All-American-Posterboy hat am Ende von Endgame ja seinen Schild an Sam weitergegeben, eine Art Wachablöse. Dieser lehnt ihn aber ab, weil er sagt, dass es sich nicht richtig anfühle: "Symbole sind nichts ohne die Frauen und Männer, die sie repräsentieren." Sein Schock sitzt aber doch tief, als man sich dazu entschließt, jemand anderen zum nächsten Captain America zu machen. Wer das ist, wird an dieser Stelle nicht verraten. (Thorben Pollerhof, 20.03.2021)