Die gute Stimmung in der Koalition ist dahin.
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Warum die Regierung scheitern wird

Kein Vertrauen, keine gemeinsame Linie, kein Ziel

Sebastian Kurz ist letztlich kein Teamplayer. Er ist ein Anführer, der ein kleines, ausgewähltes Team um sich schart, Leute, die er kennt und denen er vertraut. Alle anderen haben es schwer, an ihn ranzukommen. Das sind Leute, die seine Führungsrolle akzeptieren und mittragen. Widerstand und Widerspruch hält Kurz nicht so gut aus. Genau das findet er bei den Grünen. Und das stört ihn.

Konkurrenz wird bekämpft. Deswegen ist auch das Verhältnis zu Rudolf Anschober so angespannt. Dem Gesundheitsminister kommt in der Pandemie eine entscheidende und tragende Rolle zu. Dass Anschober in Umfragen so gut liegt, passt Kurz gar nicht. Und dass Anschober sein Ministerium recht eigenständig führt und nicht alles mit Kurz abstimmt, stört diesen schon lange: Kurz behält gerne die Kontrolle. Vertrauen ist in dieser Koalition ohnedies ein Fremdwort.

Themen eingebrochen

Die zwei wesentlichen Säulen in der Themenführerschaft sind der ÖVP abhandengekommen: die Migrationspolitik, weil die derzeit de facto nicht stattfindet, und ein ausgeglichenes Budget, das wurde von der Pandemie hinweggespült.

Stattdessen werden Kurz und die ÖVP mit Themen konfrontiert, die schmerzhaft sind und sich nicht steuern lassen: Immer wieder stehen Korruptionsvorwürfe im Raum. Eine wild gewordene Justiz, so der Eindruck im Umfeld des Kanzlers, ermittle in das Herz der neuen Volkspartei hinein.

Die Grünen spielten da eine üble Rolle: Sie unterstützen die Staatsanwaltschaft, feuern sie gar noch an, tiefer in die Ermittlungen einzusteigen. Das kann nicht gutgehen. Ermittlungen gegen Finanzminister Blümel, Ex-Justizminister Brandstetter, Ex-Finanzminister Löger, den suspendierten Sektionschef Pilnacek – wo soll das noch hinführen? Aus ÖVP-Sicht wäre es nur verständlich, wenn Kurz die Reißleine zieht. Die gute Stimmung in der Koalition ist ohnedies dahin: Die Debatte über die Nichtaufnahme von Kindern aus den Lagern auf Lesbos hatte man gerade noch überstanden, die nächtlichen Abschiebungen von Kindern hatten die Beziehung dann schon arg ramponiert. Dass die Grünen so scharf gegen Nehammer und vor allem Blümel schossen, als dieser in das Visier der Justiz geriet, kann Kurz nicht verzeihen.

Die Bewältigung der Pandemie geriet eher schlecht als recht, darunter leidet massiv auch das Image des Kanzlers – der die Schuld beim Koalitionspartner sieht. Anschober habe sein Ressort nicht im Griff, es fehlten wesentliche Informationen, der Austausch zwischen Gesundheitsministerium und Kanzleramt funktioniere nicht. So könne man nicht regieren, so könne man keine Pandemie bewältigen. Da müssten Profis ran – vielleicht in Person von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, einer studierten Ärztin.

Spricht alles dafür, diese Koalition eher früher als später zu beenden. Auch die Grünen könnten dabei gewinnen: Sie hätten sich aus der tödlichen Umarmung des ungeliebten Koalitionspartners befreit und bewahren Haltung.

Bei der Opposition gibt es bereits Fantasien, wie das aufzulösen wäre: durch eine breite, gemeinsame Allianz gegen die ÖVP. Alle gegen Kurz.

Warum die Regierung halten wird

ÖVP und Grüne haben nichts Besseres in Aussicht

Sosehr manche Türkise und Grüne bereits voneinander angewidert sein mögen: Wer mitten in einer Krise die Regierung crasht, hängt sich selbst das Chaotenimage um. Und auch nach bewältigter Pandemie werden es sich die beiden Koalitionsparteien mit einem Absprung nicht verbessern. Dafür fehlen verlockende Alternativen.

Den Wunschtraum von der absoluten Mehrheit kann die ÖVP laut Umfragen ad acta legen, nicht einmal die inhaltlich naheliegende Koalition mit den Neos geht sich aus. Die FPÖ kommt nur dann in Betracht, wenn dort ein halbwegs salonfähiger Vertreter die Führung übernimmt. Derzeit führt aber der rabiate Klubchef Herbert Kickl das große Wort. Auf der eskalierten Corona-Demo Anfang März husste er das Publikum auf: "Kurz muss weg!"

Inkompatible Alternative

Bleibt noch die SPÖ, die Sebastian Kurz wiederholt als "inkompatibel" mit seiner türkisen ÖVP gebrandmarkt hat. Warum soll sich das geändert haben? Es kann schon sein, dass der Kanzler mit der epidemiologisch einschlägig versierten Pamela Rendi-Wagner gerne gepflegt über die Bekämpfung des Virus parliert.

Doch hinter der gewiss regierungswilligen Chefin steht eine Partei, die in den nach der Pandemie anstehenden Verteilungskämpfen ums Geld massiver denn je auf Vermögensteuern und andere Ungeheuerlichkeiten in türkisen Augen drängen wird – schon allein deshalb, um als Juniorpartner nicht genauso unterzugehen wie die deutsche SPD.

Die Grünen ticken in diesen Fragen zwar nicht anders, sind aber kleiner. Die ÖVP müsste der SPÖ mehr Zugeständnisse bieten, als es derzeit beim aktuellen Koalitionspartner der Fall ist.

Auch die Grünen werden bei einem Koalitionsbruch nichts gewinnen. Sicher: Dass sie in der Regierung die kaltherzige Flüchtlingspolitik der ÖVP mittragen müssen, wird so manchen Sympathisanten vertreiben. Doch aus diesem Grund die Regierung zu sprengen wäre halsbrecherisch. Denn wann, bitte, haben die Grünen mit dem Asylthema schon einmal eine Wahl gewonnen?

Die Flüchtlingsfrage regt eine Gruppe auf, die sich gut Gehör zu verschaffen weiß. Ihr Rekordergebnis bei der letzten Nationalratswahl haben die Grünen aber mit einem ganz anderen Thema geholt, dem Versprechen einer Öko-Wende. Bevor sie sich wieder in eine Wahl trauen, müssen sie erst einmal handfeste Erfolge in der Umweltpolitik vorweisen können.

Ein vorzeitiger Absprung würde hingegen bedeuten: Die Grünen geben dem moralisch ehrenwerten, aber mangels Verbündeter wohl folgenlosen Einsatz für ein paar Tausende Flüchtlinge Vorrang gegenüber der Einlösung ihres zentralen Wahlversprechens von 2019. Das müssen sie ihren 664.000 Wählern von damals erst einmal erklären können. Wahrscheinlicher Ausgang des Experiments: eine Zukunft als geschrumpfte Oppositionspartei.

Angesichts dieser Aussichten lassen sich ein paar Koalitionsquerelen aushalten. Dass in einer beispiellosen Krise die Nerven mitunter blankliegen, ist kein Wunder. Doch noch ist nichts vorgefallen, das für die Zeit nach der Pandemie einer nüchtern-professionellen Zusammenarbeit im Weg steht.

(Michael Völker, Gerald John, 20.3.2021)