Maximal vier Personen aus höchstens zwei Haushalten dürfen in Vorarlberg seit Montag am Wirtshaustisch Platz nehmen. Voraussetzung sind ein negativer Corona-Test und eine Registrierung.

Foto: Dietmar Mathis

Es sei einfach die pure Freiheit, sagt Angelika Dex-Rauch, während sie an einem Spritzer nippt. Was sie damit meint: ein gemütlicher Sessel, ein gutes Essen, ein, zwei Gläser Spritzer, ein bisschen plaudern mit der Kellnerin und dem Chef Christoph Marte.

All das genießen Dex-Rauch und ihr Mann im Restaurant Tafelspitz in Rankweil, wo wieder Normalität eingekehrt ist. Aber nur auf den ersten Blick. Denn auf dem Tisch liegen FFP2-Masken, Registrierungszettel und Testergebnisse. Und "verhocken", wie man im Ländle sagt, können die beiden auch nicht: Um 20 Uhr müssen sie schließlich zu Hause sein.

Es sind diese Dinge, welche die Freude über die wiedergewonnene Freiheit etwas dämpfen. Den Gästen, die ins Tafelspitz gekommen sind, macht das nichts aus. Was Menschen für einen gewöhnlichen Wirtshausbesuch in Corona-Zeiten sogar in Kauf zu nehmen bereit sind: eine 500-Kilometer-Anfahrt. Am Dienstag überraschte ein Paar aus Niederösterreich Chef Christoph Marte. Sie wollten einfach einmal wieder gut essen, Google habe sie zu ihm gelotst, schmunzelt der Chef und Koch.

Ein gewagtes Experiment

Dass Leute aus den Bundesländern anreisen, Kollegen nach der Arbeit noch auf ein Bier gehen, Kinder zum Fußballtraining können oder die Eltern am Abend ein Konzert besuchen, während der Rest des Landes davon nur träumen kann, liegt an den verhältnismäßig guten Zahlen im Ländle: Seit Wochen liegt die Sieben-Tage-Inzidenz unter 100, aktuell bei 69.

Ein triftiger Grund ist auch der geringe Anteil an Virusmutationen im Ländle. Die Testmöglichkeiten wurden zuletzt massiv ausgebaut, vor allem seit Mitte vergangener Woche, als die Modellregion – das Experiment zu öffnen – fix war.

Fast zehn Tage lang wurde davor verhandelt. Auf der einen Seite die Vorarlberger, angeführt von Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP): Er verlangte Öffnungen für den Kinder- und Jugendbereich, im Veranstaltungswesen sowie in der Gastronomie drinnen und draußen. Seine Forderung: Wohnzimmertests sollten künftig auch als Eintrittsticket zum Training oder ins Lokal gelten.

Auf der anderen Seite stand das Gesundheitsministerium. Hier war man skeptischer. Das Ergebnis: Die gesamte Gastronomie kann aufsperren, Selbsttests reichen aber nur für Sport und Kultur. Die Ausgangssperre ab 20 Uhr gilt weiterhin, außerdem gelten zwei Meter Abstand und zumeist Maskenpflicht.

Konzerte, Sport und Musikunterricht können mit einem negativen Selbsttest besucht werden. Masken und Abstand sind zusätzlich notwendig.
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Wirtshäuser haben also nicht nur kürzer offen, sondern auch weniger Plätze, die sie anbieten können. Da stellt sich natürlich die Frage: Zahlen sich Öffnungen mit solchen Einschränkungen wirtschaftlich überhaupt aus?

Geänderte Öffnungszeiten

Bernd Moosmann zuckt auf diese Frage mit den Schultern. Es ist Dienstag, früher Nachmittag. Eine Vierergruppe ist gerade mit dem Mittagessen fertig und plaudert mit der Kellnerin. Moosmann steht in der offenen Küche des Freigeists, eines kleinen Lokals in Lustenau – sein Reich.

2018 hat er es übernommen und sich seither einen Namen im Ort gemacht. Der Freigeist ist vor allem abends und am Wochenende gut besucht. Moosmann kocht ambitionierte Gerichte mit regionalen Produkten. Viele schauen aber auch nur "uf a Achtili" vorbei und nehmen an der Bar Platz. Das geht jetzt nicht mehr. Und um die Uhrzeit, in der Moosmann für gewöhnlich sein Hauptgeschäft macht, sitzen alle schon wieder in den eigenen vier Wänden. "Klar ist 20 Uhr blöd", sagt der Haubenkoch.

Moosmann hat seine Öffnungszeiten deswegen erweitert: Statt getrennter Mittags- und Abendzeiten ist durchgehender Betrieb. Außerdem ist auch am Sonntag offen. "Jetzt isch Zit zum schaffa", sagt er. "Wir hatten monatelang nichts zu tun. Dass ich da jetzt drei Wochen lang sechs Tage die Woche arbeite?" Moosmann wischt mit der Hand durch die Luft: kein Ding.

Faktor Personalkosten

Um beurteilen zu können, ob sich die Öffnungen unter Einschränkungen auszahlen, ist in der Gastronomie vor allem der Faktor Personalkosten relevant, denn im Schnitt geht ein Drittel des Umsatzes der Gastronomen in Personalkosten auf.

Moosmann hat bis dato clever gewirtschaftet: Er profitiert jetzt von Kurzarbeitsstunden, die er für seine Mitarbeiter aus den Monaten November bis Jänner "mitgenommen" hat. "Unterm Strich zahle ich diesen Monat quasi keine Personalkosten, zumindest netto", sagt er.

Auch Turntraining ist wieder erlaubt.
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Anders sieht es im Tafelspitz in Rankweil aus: "Wir sind insgesamt zu viert", sagt Chef Christoph Marte. Seine Mitarbeiter sind nicht mehr in Kurzarbeit. Denn: Auch er musste die Öffnungszeiten ausbauen. Und diese Schichten müssen besetzt werden. Für ihn heißt das: putzen, aufräumen, waschen und vor allem – seine Haupt- und alleinige Aufgabe – kochen.

"Jömmra" (jammern) möchte er aber nicht: "Wir haben dadurch einfach weniger Kosten", sagt Marte, der am frühen Nachmittag mit einem Bein schon in der Küche steht. Thailändische Fische, Miesmuscheln und Beef Tartar stehen am (Früh-)Abend auf der Karte. In Form zahlreicher Reservierungen scheinen ihm, aber auch Moosmann, die Gäste für die Öffnung zu danken.

Beide Lokale sind in der ersten Woche gut reserviert, vor allem am frühen Abend. Für Marte selbst war die auferlegte Betriebspause eine "Katastrophe". Er wollte, wie er sagt, auch seinem Team diesen Zustand nicht länger zumuten.

Nackte Zahlen

Während Betriebe wie der Freigeist oder das Tafelspitz das Aufsperren unter Auflagen wagen, gibt es auch etliche Betriebe, die dies nicht konnten. Oder wollten. Laut einer Umfrage der Vorarlberger Wirtschaftskammer entschieden sich 40 Prozent gegen eine Öffnung, 30 Prozent dafür, der Rest war unentschlossen. Bei etwa einem Drittel liegt laut Fachgruppenobmann Mike Pansi auch die Zahl an Betrieben, in denen Personal entlassen wurde. Dass sie nun so kurzfristig nicht in der Lage sind zu öffnen, liegt damit auf der Hand.

Ob es sich schlussendlich auszahlt aufzumachen, können die Wirte im Ländle nach einer Woche in ihrer Modellregion nicht sagen. Ohnehin werden genaue Zahlen über Umsätze, Kosten und Gewinne nie preisgegeben. Das ist eine Faustregel in der Gastro.

Hört man sich um, sprechen die meisten davon, ein Drittel, wenn es gutgeht, die Hälfte ihres normalen Umsatzes zu erzielen. Die wichtigste staatliche Hilfe vor diesem Hintergrund ist der Ausfallbonus: Wenn der Umsatzrückgang mindestens 40 Prozent im Vergleich zum März 2019 ausmacht, werden 45 Prozent ersetzt, ab April 30 Prozent.

"Ob ich über diese Schwelle komme? Ich weiß es echt nicht", sagt Moosmann. Ein anderer Wirt sagt klipp und klar: "Wirtschaftlich rentiert es sich für mich nicht." Geöffnet hat er dennoch. "Ich will nicht immer nur an die nackten Zahlen denken. Es geht auch um die Gäste und um das Personal. Denen ist die Decke auf den Kopf gefallen."

Konzert als Höhepunkt

Aber es sind nicht nur ökonomische Überlegungen, die Vorarlberger dieser Tage anstellen. "Natürlich rentieren sich jetzt Veranstaltungen nicht auf einer wirtschaftlichen Ebene", sagt der Bludenzer Kulturamtsleiter Stefan Kirisits. Aber man erfülle schließlich einen öffentlichen Kulturauftrag.

Wie dieser aussieht, zeigt sich Dienstagabend in der Remise Bludenz. Dort wippen 100 Menschen, die maximal erlaubte Anzahl an Gästen, im Takt zu den Schlagzeugrhythmen der Mundart-Rockband Rumborak. Sitzend, mit Abstand und Maske. Was vor einem guten Jahr noch dystopisch gewirkt hätte, ist für viele ein Höhepunkt seit Monaten.

Sitzen fiel beim Konzert von Rumborak etwas schwer.

Um die Band selbst geht es einer jungen Besucherin gar nicht, wie sie sagt. Sie habe einfach Lust auf ein Konzert gehabt. Bei einem anderen Konzertbesucher, der seine zwei Buben mitgebracht hat, weckt die Band Jugenderinnerungen. Nach und nach strömen weitere Gäste in die Halle, die die Mitarbeiter prompt auf die zugewiesenen Sitzplätze bringen. "Sie sind einfach zu spät in die vollgestopfte Corona-Teststraße", sagt die Testkontrolleurin schulterzuckend.

Anders als in der Gastronomie reicht hier ein negativer Selbsttests als Eintrittsticket. Um Punkt halb acht gehen die Scheinwerfer aus, und das Saallicht geht an. Die Menschen verlassen der Reihe nach den Saal. Draußen schwärmen sie in kleinen Grüppchen vom Konzert, ehe jemand mahnend "Sen ihr us am glicha Hushalt?" ruft.

Freude in der Turnhalle

Riesig ist die Freude auch in der Turnhalle. "Endlich dürfen wir wieder turnen", sagt ein junges Mädchen, das mit großen Schritten das Turnsportzentrum Dornbirn betritt. Dort wartet schon Marialuise Kogler auf sie – Liste und Kugelschreiber in der Hand, Maske im Gesicht. Sie ist sportliche Leiterin und Trainerin im Turnsportzentrum und dem Kunstturnen, das in Vorarlberg hohen Stellenwert hat, seit Jahrzehnten verschrieben. Heute weist sie die Kinder in die richtige Garderobe ein, denn wäre die ganze Gruppe in einer Umkleide, könnte nicht genügend Abstand gehalten werden.

Dass Kinder und Jugendliche wieder Sport treiben oder Instrumente spielen können und damit ein Stück Normalität zurückgewinnen, war laut Wallner der Hauptgrund für die Modellregion. Niemand verstehe, dass Kinder am Vormittag getestet werden und am Nachmittag nicht ihren Hobbys nachgehen können, sagt er. Nun geht das zwar wieder. Allerdings zählt der Schultest nicht. Alle über Zehnjährigen brauchen einen zusätzlichen negativen Selbsttest. "Ich sehe den Sinn nicht", sagt Kogler und spricht damit auch vielen Eltern aus der Seele.

Pünktlich um 16 Uhr steht sie vor der Turngruppe und hält eine kleine Ansprache: "Wir freuen uns alle, dass wir wieder hier sein können. Aber das funktioniert nur, wenn wir uns an Regeln halten." Kogler erklärt, wieso es vorerst keine Partnerübungen mehr gibt. "Bitte schaut, dass immer viel Platz zwischen euch ist, zwei Meter sollen es ein."

Was in der Theorie simpel klingt, ist in der Praxis gar nicht so einfach umzusetzen mit einem Haufen Achtjähriger. Daher bieten viele Vereine diese Woche auch noch gar keine Trainings an. Die Trainer sind unsicher, wie sie die Vorgaben garantiert einhalten können, denn die meisten haben sehr viel weniger Platz als die 1500 Quadratmeter in Dornbirn.

Kogler ist am Ende ihrer Rede angekommen. "Alles klar?", fragt sie in die Runde. Große Augen, Nicken. "Na dann, los!" Die Mädchen schreien laut "Juhu!" und rennen los. (Lara Hagen, Elisa Tomaselli, 20.3.2021)