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Stacheldraht ist out, zumindest in norwegischen Gefängnissen. Das dortige Gefängnissystem gilt als besonders liberal, die Rückfallquoten sind gering.

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Rund elf Millionen Menschen sitzen weltweit in Gefängnissen – Tendenz stark steigend. Das verrät der aktuelle Prison Trends Report von Penal Reform International. Das ist teuer: Rund 47.500 Euro kostet ein Häftling pro Jahr in Österreich. Effizient ist das System nicht immer, jeder Zweite wird rückfällig. Geht das nicht anders? Drei Entwicklungen im Justizvollzug.

Szenario 1: Smarte Hightech-Gefängnisse

Beginnen wir mit der Dystopie, nämlich mit Gefängnissen, die noch restriktiver, überwachter und menschenunfreundlicher sind als die aktuellen. Insbesondere China und Hongkong zeigen vor, was technisch möglich ist. Hongkong will seine Gefängnisse etwa nach und nach zu Smart Prisons umbauen. Einige Anstalten statteten ihre Gefangenen testweise mit Armbändern aus, die an Fitnesstracker erinnern – und auch einen ähnlichen Zweck erfüllen. Denn neben dem Standort erfassen sie auch den Puls der Insassen. Ist der auffällig, schlägt der Tracker Alarm. Auch Roboter werden bereits eingesetzt, um die Gefangenen nach verbotenen Gegenständen zu durchsuchen.

Im chinesischen Yancheng-Gefängnis wiederum überwachen versteckte Kameras und Sensoren in den Zellen die Insassen rund um die Uhr. Jeden Tag generiert das System automatisch einen Verhaltensreport für jeden Gefangenen, in den auch Bewegungsprofile und Analysen von Gesichtsausdrücken einfließen. Erkennt die künstliche Intelligenz dahinter ungewöhnliche Muster, werden die Wächter alarmiert.

Regierungen und Gefängnisse argumentieren den Einsatz der Technologien mit mehr Sicherheit, auch für die Insassen. Tatsächlich könnten "neutral" agierende Systeme auch gewalttätige Justizbeamte zur Rechenschaft ziehen – wenn das gewollt ist. Vor allem dürfte der Einsatz von smarter Technologie aber Effizienzgründe haben: Der Computer lässt sich nicht ablenken, wird nicht müde und vor allem: Er hat kein Herz und auch kein Auge, das er im Zweifelsfall zudrücken kann.

Viele Gefängnisse setzen auf mehr und smartere Überwachung, etwa mit Gesichtserkennung.
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Szenario 2: Gefängnisse, die nicht wie solche aussehen

Wer bei Gefängnisinsel sofort an Alcatraz denkt, kennt Bastøy noch nicht. Das Gefängnis im Fjord von Oslo hat es als "humanstes Gefängnis der Welt" zu weltweiter Bekanntheit und sogar in den Dokumentarfilm Where to Invade Next von Michael Moore geschafft.

Rund einhundert Häftlinge leben in Wohngemeinschaften in kleinen Hütten auf der Insel. Eingesperrt sind sie dabei nicht. Sie arbeiten in der Küche, auf den ökologisch bewirtschafteten Feldern oder im Wald oder sogar auf dem Festland. Die Wachen tragen keine Waffen. Selbst das Hochsicherheitsgefängnis Halden erinnert eher an ein Hotel. Statt durch Gitter blicken die Häftlinge auf Wälder, die Schlüssel zu den Zellen besitzen sie selbst. In den 1990ern verordnete sich Norwegen eine radikale Justizreform: Statt simples Wegsperren fokussierte man sich auf soziale Wiedereingliederung, die Vollzugsanstalten sollten die Insassen auf das echte Leben vorbereiten. Mit Erfolg: Die Rückfallquote in Norwegen liegt bei niedrigen 20 Prozent.

Immer wieder besuchen ausländische Delegationen norwegische Gefängnisse, die vielen als Vorbild gelten. Von einer internationalen Veränderung ist aber noch nichts zu spüren: Laut Global Prison Trends Report leben die meisten Insassen weltweit immer noch in schlechten Bedingungen, viele Gefängnisse sind überbelegt und unterfinanziert.

Szenario 3: Gar keine Gefängnisse

Geht es nach Thomas Galli, sollte es gar keine Gefängnisse mehr geben – zumindest nicht in der heutigen Form. Galli war selbst Leiter einer deutschen Justizvollzugsanstalt. Als ihn ein Kamerateam 2016 fragte, was er mit den Häftlingen machen würde, wenn es nach ihm ginge, sagte er: "Ich würde sie freilassen." Wenige Monate später kündigte er seinen Job, seitdem arbeitet er als Anwalt und schreibt Bücher über seine Erfahrungen. Vergangenes Jahr erschien Weggesperrt. Warum Gefängnisse niemandem nützen.

Weder Tätern, Opfern noch Gesellschaft bringt das aktuelle System etwas, argumentiert Galli darin. Haftstrafen würden lediglich das veraltete Prinzip von Vergeltung fördern und Täter weiter ins soziale Abseits treiben. Die hohe Rückfallquote spreche für sich. Nur für einige wenige Härtefälle brauche es menschenwürdige Verwahrungsanstalten, die entfernt an das norwegische Bastøy erinnern.

Der große Rest soll laut Galli seine Schuld in offenen, dezentralen Formen des Freiheitsentzugs verbüßen. In Wohngruppen könnten etwa besonders junge Täter ein positives soziales Umfeld bekommen. Statt in kleinen Zellen herumzusitzen, sollten Verurteilte zur aktiven Wiedergutmachung, gegebenenfalls mit den Opfern, verpflichtet werden. Das fordern auch viele Opferschutzverbände seit Jahren.

Letztlich müsse es immer das Ziel sein, Straftaten schon im Vorhinein zu verhindern, indem man etwa extreme Ungleichheiten verhindert. "Sozialpolitik ist die effektivste Kriminalpolitik", sagte etwa schon Strafrechtsreformer Franz von Liszt im 19. Jahrhundert. (Philip Pramer, 22.3.2021)