Indem anderswo Bäume gepflanzt werden, wollen Unternehmen und Staaten ihre Emissionen kompensieren. Nur: So viele Bäume, wie für den Ausgleich nötig wären, können wir gar nicht pflanzen.

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Wer viel mit dem Auto fährt oder fliegt, muss kein schlechtes Gewissen haben. Für nur einen Cent mehr pro Liter Diesel ist die Autofahrt CO2-neutral, hat also keinen negativen Effekt auf das Klima, verspricht das niederländische Ölunternehmen Shell. Die deutsche Lufthansa lässt Kunden die Emissionen eines jeden Fluges berechnen und anschließend mit ein paar Euro ganz einfach "kompensieren" – beinahe so, als hätte der Flug nie stattgefunden. Mit dem Geld sollen woanders Bäume gepflanzt, Solar- und Windkraftanlagen gebaut oder neue Technologien zur CO2-Reduktion unterstützt werden.

Die Ideen für CO2-Ausgleiche boomen. Im vergangenen Monat kündigte Shell an, bis 2030 rund 120 Millionen Tonnen CO2 zu kompensieren. Gleichzeitig will das Unternehmen weiterhin den Großteil des Geldes in die Öl- und Gasproduktion stecken. Das italienische Ölunternehmen Eni gab kürzlich an, bis 2030 jedes Jahr 40 Millionen Tonnen CO2, die das Unternehmen verursacht hat, durch Aufforstung oder den Schutz der Wälder auszugleichen. Auch Unternehmen wie Apple, Nestlé, Amazon, Ikea oder Microsoft und sogar Staaten überall auf der Welt setzen auf den Emissionsausgleich, um in den nächsten Jahrzehnten CO2-neutral zu werden.

Bäumepflanzen boomt

Die Idee hinter dem CO2-Ausgleich klingt plausibel: Wer an einem Ort zu viele Emissionen ausstößt, kann diese ausgleichen, indem er Projekte zur CO2-Reduktion an anderen Orten unterstützt. Kaum eine Maßnahme ist dabei so beliebt wie das Bäumepflanzen: Beinahe alle großen Konzerne setzen darauf. Aber die Pläne wirken für Umweltschützer häufig ein wenig zu schön, um wahr zu sein.

Laut einer Studie der Umweltschutzorganisation Greenpeace würden allein die Ziele des Ölkonzerns Eni zur CO2-Kompensation sechs Prozent der weltweiten Wälder als CO2-Speicher benötigen. Wollen wir alle CO2-Emissionen pro Jahr aus fossilen Energien auf diese Art kompensieren, bräuchten wir rund vier- bis fünfmal so viel CO2-speichernden Wald und Grasflächen auf dieser Erde, heißt es in der Studie.

Emissionen lange speichern

Die Rechnung geht auch auf individueller Ebene schwer auf: Bei einem Hin- und Rückflug von Wien nach New York werden laut CO2-Rechner etwa zwei Tonnen CO2 pro Kopf ausgestoßen. Je nach Baumart müssten pro Passagier rund zwei Bäume gepflanzt und diese circa hundert Jahre lang leben und wachsen, um die dadurch entstandenen Emissionen auszugleichen. Werden die Bäume Opfer von Bränden, Dürren, Schädlingen oder Abholzung, wird auch das CO2 wieder freigesetzt, und die Kompensation ist dahin. Laut einer Studie internationaler Wissenschafterinnen und Wissenschafter werden zudem auf der Hälfte der Flächen für die Wiederaufforstung für den CO2-Ausgleich Monokulturen gepflanzt, die weit weniger Kohlenstoffdioxid aufnehmen als natürlich gewachsene Wälder.

Natürlich müssen aber nicht überall Bäume gepflanzt werden, um CO2 auszugleichen. Die Möglichkeiten zur Kompensation reichen mittlerweile von Technologien wie CO2-Abscheidung und -Speicherung, erneuerbaren Energieprojekten bis hin zu effizienteren und nachhaltigeren Kochherden in Entwicklungsländern. Laut Climate Austria, einer Plattform, die beispielsweise mit Austrian Airlines kooperiert, um Flugreisen zu kompensieren, habe man 2019 31 Klimaschutzprojekte in Österreich und zehn internationale Klimaschutzprojekte unterstützt. Durch den Schutz der Wälder in Brasilien, sauberes Trinkwasser in Ruanda und Windkraft in Taiwan seien insgesamt 47.000 Tonnen CO2 kompensiert worden, heißt es auf der Website.

Kritik an Berechnungen

Nicht wenige Experten bemängeln jedoch die Berechnungen dieser Projekte. Die Auswirkungen von Flugreisen und anderen CO2-intensiven Aktivitäten auf das Klima und die Umwelt werden meist als zu gering berechnet, so die Kritik. Welche positiven Effekte die Maßnahmen in den jeweiligen Ländern haben, sei oft schwer und nicht eindeutig messbar. Wäre das Projekt auch ohne Unterstützung umgesetzt worden? Wie steht die lokale Bevölkerung zu den Maßnahmen? Können Technologien zur CO2-Abscheidung und Speicherung wirklich gut, sicher und günstig genug sein, um sie in großem Stil anzuwenden?

Wie sinnvoll der CO2-Ausgleich ist, hängt laut vielen Experten von den Details der jeweils unterstützten Projekte ab. Laut der Investigativplattform Pro Publica werde in den meisten Projekten mehr versprochen als am Ende eingehalten werden könne. Viele der Aufforstungsprojekte würden erst gar nicht entstehen oder nach wenigen Jahren, nachdem die Gelder von europäischen oder amerikanischen Unternehmen bereits geflossen sind, wieder der Abholzung zum Opfer fallen, heißt es in der Recherche.

Kein Freibrief zum Verschmutzen

"Die CO2-Kompensation sollte nicht dazu führen, dass Öl und Gas weiter verfeuert werden", sagt Helga Kromp-Kolb, Klimaforscherin am Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit der Universität für Bodenkultur Wien. Genau das passiere laut der Expertin aber immer wieder. "Unter den Geschäftsführern ist das kurzfristige Zyklusdenken leider sehr verankert." Zu oft werde der CO2-Ausgleich als Ausrede benutzt, um mit dem Geschäft weiterzumachen wie bisher. Viele Maßnahmen wie etwa die CO2-Abscheidung und -Speicherung seien noch nicht ausgereift, zu aufwendig und teuer.

Laut der Expertin sollten sich Unternehmen statt CO2-Ausgleich überlegen, welche anderen Dienstleistungen sie nachhaltig anbieten könnten: Ölunternehmen könnten ihr Geld beispielsweise in erneuerbare Energien stecken oder ihre Tankstellen für Elektrofahrzeuge öffnen, Fluglinien mit Zug- und Busunternehmen für ein besseres Logistiknetz zusammenarbeiten.

Letztes Mittel

Schließlich werden bei der CO2-Kompensation im Gesamtverhältnis keine Emissionen gesenkt, was aber angesichts der Klimaerwärmung dringend nötig wäre. "Nur wenn es wirklich nicht anders geht oder auf den letzten Metern im Kampf gegen die Erderwärmung nicht klappt, sollten wir überlegen, wie wir die Emissionen speichern oder kompensieren können", sagt Kromp-Kolb. Anhand eines Beispiels führt es die Expertin so aus: "Wenn ich regelmäßig zum Shoppen nach London fliege, dann macht Kompensieren wenig Sinn. Wenn ich aber sofort dorthin muss, um am Begräbnis meiner Oma teilzunehmen, dann können sowohl der Flug als auch die Kompensierung sinnvoll sein."

Solange die weltweiten Emissionen steigen, ist der CO2-Ausgleich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, sind sich Experten und Expertinnen wie Kromp-Kolb einig. Was nicht heißen soll, dass Projekte zur CO2-Speicherung gestoppt werden sollten. Kaum jemand würde den Nutzen von Aufforstungsprojekten bestreiten. Auch kann der CO2-Ausgleich dabei helfen, erneuerbare Energieprojekte und Forschung in Technologien zur CO2-Reduktion zu finanzieren, sagen Befürworterinnen. Aber Staaten und Konzerne sollten laut Kromp-Kolb nicht so tun, als würden sie mit der CO2-Kompensation einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. "Kompensieren und Nichtstun geht heute nicht mehr." (Jakob Pallinger, 22.3.2021)