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Eine Ärztin der US-Armee beim Impfeinsatz in einer Halle der US-Bundesagentur für Katastrophenschutz in Philadelphia. Solche Momente müssen als Selfie festgehalten werden.

Foto: AFP / Getty Images / Mark Makela

Es wird jetzt auch im Kino geimpft. Um genau zu sein, in einem alten Kino der US-Metropole Philadelphia, das man vor Jahren zu einer kleinen Konzerthalle umgebaut hat. "Covid 19 Vaccine" steht über dem Eingang des Theatre of Living Arts auf der breiten weißen Leuchttafel, wie sie typisch ist für historische Lichtspieltheater. Darunter der Hinweis "No walk-ups": Man kann nicht einfach hineinschneien, ohne Termin.

Es ist ein Impfzentrum, das nicht weiter auffällt zwischen den Lokalen und Restaurants der South Street, die vor der Pandemie eine lärmerfüllte Amüsiermeile war, im März 2020 in Schockstarre verfiel und nun langsam zurückkehrt zur Normalität. Zur Linken, noch immer geschlossen, der Boyler Room, der mit 21 Fassbiersorten wirbt. Zur Rechten, nach langer Pause wieder geöffnet, die Bar Copa Havana; ein paar Schritte weiter die Pizzeria Lorenzo & Sons, vor der die Kunden Schlange stehen. Ein altes Kino, in dem Mediziner einer Universitätsklinik das Vakzin von Pfizer/Biontech verabreichen, gehört wie selbstverständlich dazu.

"Es geht vorwärts"

Überall in Philadelphia wird mittlerweile geimpft, in Arztpraxen, in Apotheken, in Drogerien. Hinzu kommen neun größere Impfzentren, etwa in einer Kongresshalle, einem Ballsaal, einer High School, bei der Heilsarmee, auf einer Feuerwache, in einem German American Club. "Es geht vorwärts", sagt Jim Kenney, der eher wortkarge Bürgermeister, und stellt in Aussicht, dass die Stadt mit ihren 1,6 Millionen Einwohnern im Mai 150.000 Impfdosen pro Woche erhält. Momentan sind es 82.000, bestellt von der Bundesregierung in Washington.

Nachschubprobleme? Das war einmal. Allein Pfizer/Biontech und Moderna wollen bis Ende Mai jeweils 200 Millionen Dosen in den USA herstellen. Hinzu kommt, erst vor kurzem zugelassen, das Präparat von Johnson & Johnson. Da nichts davon exportiert wird, haben Kommunen den Kreis derer, denen ein Impfangebot gemacht wird, schneller erweitert, als es noch vor zwei Monaten möglich schien. So konnte denn auch US-Präsident Joe Biden stolz berichten, dass man nun an der Marke von 100 Millionen Impfungen angelangt sei.

In Philadelphia ist jeder über 65-Jährige an der Reihe. Außerdem können Menschen mit besonderen Erkrankungen sowie vom Paketboten bis zur Supermarktkassiererin alle, die einen essenziellen Beruf ausüben, einen Termin buchen. In New York liegt die Altersgrenze neuerdings bei 60, in Texas bei 50, in Indiana bei 45. Anfang Mai soll sie ganz entfallen, auch in Philadelphia. Die South Street erinnert an diesem St. Patrick’s Day schon wieder ein bisschen an frühere Zeiten. Vor zwölf Monaten fiel der irische Nationalfeiertag, den Irish-Americans mindestens so ausgelassen feiern wie ihre Verwandten zu Hause, genau in die Zeit, in der das Land den Schalter umlegte und in den Lockdown-Modus wechselte. Die obligatorische Parade wurde abgesagt, die Kneipen machten dicht.

Masken fast überall

Auch heuer wurde es nichts mit der Parade, doch vor den Pubs saßen schon wieder fröhliche Runden beisammen, unter Plastikplanen am Straßenrand. Was ansonsten auffällt: Praktisch jeder trägt eine Maske, wenn er nicht gerade ein Guinness trinkt. Zwar sind Masken im Freien nur dann Pflicht, wenn sich die vorgeschriebenen sechs Fuß Mindestabstand nicht einhalten lassen. Doch die allermeisten sehen es so wie der Architekt Matthew McCaskill: "Kein Risiko, die Stadt hat schon zu sehr gelitten."

Philadelphia hat es hart getroffen, fast so hart wie New York, im vorigen Frühjahr das US-Epizentrum. 124.000 Infektionen – fast so viele wie im Big Apple. Und bisher 3244 Tote. Die traurige Bilanz erklärt die allgegenwärtige Vorsicht – auch wenn Symbole, die in einer so sportverrückten Stadt immens wichtig sind, zur Aufhellung der Stimmung beitragen. Mit dem Start in die neue Baseballsaison am 1. April dürfen die Phillies, die Lokalmatadoren, wieder vor Publikum spielen – seit Beginn der Pandemie das erste Heimspiel vor Zuschauern. Der sprichwörtliche Lichtstreif am Horizont.

Lillian Roche steht an einem kalten Mittwochmorgen um fünf Uhr als Erste in einer Warteschlange vor dem Pennsylvania Convention Center, der größten Kongresshalle der Metropole, die aktuell auch das größte Impfzentrum ist. Sie will sichergehen, dass ihre Mutter Esther den Stich in den Arm bekommt.

Auf der Website, auf der man Termine ausmachen kann, kam sie nicht weiter. Als es dann hieß, man könne sich am Convention Center auch dann anstellen, wenn man keinen Termin habe, reagierte sie sofort. "‚Mom, die Chance nutzen wir‘, sagte ich zu meiner Mutter, ‚die lassen wir uns nicht entgehen.‘"

Diskriminierung

Die neue Regelung hat damit zu tun, dass die Bewohner ärmerer Stadtteile, meist Afroamerikaner, bisher zu kurz kamen. In Gegenden der weißen Mittelschicht, im Durchschnitt besser mit IT ausgestattet, ist die Impfquote viermal höher.

Die Statistik trägt dazu bei, Philadelphias alte Wunde schwären zu lassen, die Diskriminierung schwarzer Amerikaner, die 44 Prozent der Bevölkerung bilden. Um das Ungleichgewicht zumindest etwas zu korrigieren, wird die Hälfte der täglich 6000 Impftermine im Convention Center nunmehr an Leute aus den benachteiligten Vierteln vergeben. Ohne Anmeldung, nur unter Nachweis der Adresse. (Frank Herrmann aus Philadelphia, 20.3.2021)