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"Durch die Geschehnisse in den USA unter dem Stichwort Black Lives Matter ist das Thema Rassismus präsenter geworden", sagt Psychotherapeutin Leonore Lerch.

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Meghan Markle hat in ihrem Interview mit Oprah Winfrey offen über ihre Suizidgedanken gesprochen, auch aufgrund des Drucks der oft rassistischen britischen Boulevardpresse.

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"Wir müssen über Rassismus als gesellschaftliches System sprechen", sagt Psychotherapeutin Leonore Lerch.

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Es war ein überraschender TV-Moment: Herzogin Meghan sprach in ihrem Oprah-Interview vor einem Millionenpublikum offen über die psychische Belastung, die unter anderem durch rassistische Angriffe aus der Boulevardpresse verursacht wurde. Durch die Black-Lives-Matter-Bewegung habe das Bewusstsein für Rassismus zugenommen, sagt Psychotherapeutin Leonore Lerch. Psychotherapie sei aber ein "Spiegel der Gesellschaft", die allgemein lernen müsse, über Rassismus als System zu sprechen.

STANDARD: Wie wirkt sich Rassismus auf die mentale Gesundheit aus?

Lerch: Wenn wir über Rassismus sprechen, reden wir über Machtverhältnisse. Ein wesentliches Merkmal von Rassismus ist, dass es eine privilegierte Gruppe gibt, die definiert, wer dazugehört und wer nicht. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, berichten davon, dass sie anders behandelt, strukturell benachteiligt und diskriminiert werden. Aufgrund körperlich oder kulturell zugeschriebener Merkmale haben sie weniger Rechte oder Möglichkeiten. Rassismuserfahrungen beginnen nicht erst da, wo Menschen beschimpft werden oder körperliche Gewalt erfahren. Es sind oft Situationen im Alltag, die zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität führen: Blicke in der U-Bahn, Kommentare in der Schlange im Supermarkt, Absagen von Vermietern oder Arbeitgebern.

STANDARD: Gibt es unter Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Österreich ein Bewusstsein dafür?

Lerch: Im Allgemeinen gibt es ein Bewusstsein für Rassismus, aber wir haben noch nicht gelernt, wie wir miteinander über Rassismus als gesellschaftliches System sprechen können. Wir alle sind in rassistischen Strukturen sozialisiert, es ist nicht die Frage, ob eine einzelne Person das will oder nicht: Rassismus findet statt. Die Psychotherapie ist letztendlich ein Spiegel der Gesellschaft. Wie genau Rassismus in der Psychotherapie geschieht und im psychotherapeutischen Setting reproduziert wird, das wurde im deutschsprachigen Raum noch sehr wenig erforscht. Im englischsprachigen Raum ist man deutlich weiter.

STANDARD: Welche Erfahrungen machen Betroffene, wenn sie das Thema in der Psychotherapie ansprechen?

Lerch: Betroffene berichten teilweise, dass ihre Rassismuserfahrungen bagatellisiert oder abgesprochen werden. Oder es wird vonseiten der Psychotherapeutin zu einem anderen Thema übergegangen oder das Erlebte umgedeutet. Ich halte es für wichtig, dass Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten offenlegen, wenn sie zum Thema Rassismus nicht kompetent sind, etwa im Erstgespräch. Das geschieht ja bei anderen Themen auch. Hinsichtlich Rassismus kompetent zu sein bedeutet nicht, dass Psychotherapeuten selbst von Rassismus betroffen sein müssen. Das würde ja sonst bedeuten, eine Psychotherapeutin müsste sämtliche Erfahrungen gemacht haben, die der Klient erlebt hat. Eine Haltung der Offenheit und Anteilnahme ist sicher die Voraussetzung dafür, dass Menschen über Rassismuserfahrungen sprechen können, aber auch Wissen darüber, wie Rassismus wirkt.

STANDARD: Was hat es für Auswirkungen auf Betroffene, wenn ihre Erfahrungen relativiert werden?

Lerch: Wenn eine Person einer anderen Person ihre Erfahrungen abspricht, offenbart sich ein Machtgefüge. Die Therapeutin nimmt sich die Definitionsmacht darüber, was die Klientin erlebt hat und was nicht. So wird Rassismus reproduziert.

STANDARD: Muss das Thema mehr in der Gesellschaft ankommen, bevor es in der Psychotherapie Einzug finden kann?

Lerch: Ich denke, dass dieser Prozess parallel verläuft. Durch die Geschehnisse in den USA unter dem Stichwort Black Lives Matter ist das Thema Rassismus präsenter geworden. Dabei spielen auch die Medien eine wichtige Rolle. Wenn diese Themen aufgegriffen werden, entsteht auch eine Bewusstseinsänderung oder überhaupt erst eine Bewusstwerdung in der Gesellschaft.

STANDARD: Welche Ansätze könnten problematisch sein?

Lerch: Rassismus hat sehr unterschiedliche Formen, oft wird darauf eingegangen, wie Rassismus zwischen Personen oder bestimmten Personengruppen stattfindet. Rassismus kann man aber nicht nur auf individuelle Verletzungen reduzieren, es geht um ein System, das in der ganzen Welt etabliert ist und das bestimmte Personengruppen ausbeutet, während andere profitieren.

Es ist wichtig, dass die Betroffenen zu Wort kommen. Doch es wird kaum darüber gesprochen, welche Rolle weiß positionierte Personen haben. Für sie würde es bedeuten zu hinterfragen, welche Rollen sie im System von Rassismus einnehmen, welche Privilegien und Vorteile sie aufgrund von Rassismus haben und wie sie davon profitieren. Diese ehrliche Selbstreflexion kann verunsichernd sein.

STANDARD: Was muss getan werden, damit sich das Bewusstsein über Rassismus in der Psychotherapie erhöht?

Lerch: Rassismus ist ein System, das Menschen unterdrückt und krankmacht. Wir müssen unsere Bemühungen auch dahin richten, das System zu ändern und nicht die Menschen quasi zu "pathologisieren", während wir das System erhalten. In diesem Kontext muss auch die Psychotherapie politisiert werden. Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse müssen in die Psychotherapie miteinbezogen werden, insbesondere auch in der Psychotherapieausbildung. (Noura Maan, 21.3.2021)