Das Thema New Work steht in den meisten Unternehmen auf der Agenda von Geschäftsleitung und Human Resources ganz oben. Maßnahmen, die dazu ergriffen werden, konzentrieren sich größtenteils auf die Schaffung von Homeoffice-Möglichkeiten, die Einführung mobiler Technologien und die Gestaltung eines offenen, flexiblen Bürokonzepts. Hingegen werden Cultural-Change-Initiativen, die Herstellung flacher Hierarchien oder ein neues Führungsverständnis kaum in Angriff genommen.

Lieber investiert man in moderne Videokonferenztechnik und Kanban-Boards, als die Kultur des Miteinanders auf den Prüfstand zu stellen. Lieber installiert man ein Programm zur Überwachung der Mitarbeitertätigkeiten im Homeoffice, statt auf Eigeninitiative zu vertrauen. Mit digitalisierten Prozessen und modernen Arbeitsplätzen ist die vielzitierte Transformation der Arbeitswelt aber noch lange nicht bewerkstelligt. New Work basiert auf den "drei Ds" Digitalisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung. Das letzte D erfordert ein neues Mindset, ein neues Verständnis von Führung und Zusammenarbeit. Das bedeutet eine Bedrohung für dominanzorientierte Autokraten und kontrollierende Erbsenzähler.

Viele Organisationen werden noch immer geführt wie Herzogtümer oder kleine Königreiche. Der Weg zu New Leadership ist kein leichter.
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Führung neu denken

Hoheitliche Führung ist nach wie vor Alltag in vielen Betrieben. Sie passt aber so gar nicht in ein ganzheitliches Verständnis von New Work, agilem Management oder Arbeit 4.0. Denn was in demokratischen Staaten seit über 100 Jahren selbstverständlich ist, nämlich Wahlen der Verantwortungsträger und Gewaltenteilung, klingt für Unternehmen wie eine Revolution. Viele Organisationen werden noch immer geführt wie Herzogtümer oder kleine Königreiche. Diese Grundhaltungen werden häufig wie gottgegeben akzeptiert.

Vieles spricht dafür, diese "Überzeugungen" zu überdenken:

  1. Komplexität und ständiger Wissenszuwachs überfordern die einzelne Führungskraft an der Spitze. Vorgesetzte sind nicht mehr beste Fachkraft in allen Bereichen. Sie sind angewiesen auf Kompetenz und Fachwissen ihres Teams, und ihre Fachkräfte erwarten auch, mit ihrer Expertise angefragt zu werden.
  2. Agiles Management erfordert ständiges, rasches Anpassen an neue Gegebenheiten. Prozesse verlangsamen sich, wenn alles im Topmanagement abgesegnet werden muss. Dann wird die Führung nicht nur fachlich, sondern auch zeitlich zum Nadelöhr. Selbstorganisation an der Basis ermöglicht raschere Entscheidungen.
  3. Werte und Grundhaltungen haben sich verändert. Kompetente Mitarbeitende (und nicht nur Junge) erwarten auch von ihren Chefs respektvollen Umgang, sonst bleiben sie nicht lange. Wer Leistung will, muss auch eine entsprechende Unternehmenskultur bieten.

Keine Ende in Sicht

Das bedeutet nicht, dass es in der neuen Arbeitswelt keine Führung mehr geben soll. Es braucht sie mehr denn je. New Work erfordert allerdings auch New Leadership. Vom Bild des charismatischen (männlichen) Führers, der mit einer attraktiven Vision und überzeugenden Reden alle mitzieht, sollten wir uns endlich verabschieden. Auch die Vorstellung, dass Führungsjobs Plattformen zur Selbstdarstellung und Befriedigung narzisstischer Bedürfnisse sind, passt nicht zur agilen Arbeitswelt.

New Work braucht dialogfähige Menschen, die Führung als dienende Funktion für ein Unternehmen verstehen und sich für die Weiterentwicklung und Zukunftsfähigkeit einer Organisation einbringen. Die Hauptaufgabe dieser "Servant Leadership" besteht darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Selbstmanagement und effektives Zusammenwirken aller ermöglichen. Diese Aufgabe kann auf eine oder mehrere Personen aufgeteilt werden. Sie könnten sogar vom Team gewählt werden.

Eine Frage der Firmenkultur

Bei den Überlegungen, New Leadership und mehr Demokratisierung in die neue Arbeitswelt zu bringen, stößt man immer wieder auf die gleiche Befürchtung: "Da müssten wir ja die ganze Organisation total umkrempeln." Es ist tatsächlich riskant, New Leadership mit einer radikalen Palastrevolution einzuführen. Entwicklung passiert nicht über Nacht, sondern ist ein Weg. Es gäbe viele kleine Schritte, um eine Transformation zu einer neuen Führungskultur einzuleiten:

  • Entscheidungen an Mitarbeitende zu übertragen erfordert auch, sie dafür fit zu machen: Investieren Sie in Entwicklungsmaßnahmen, die sowohl die Dialogfähigkeit wie auch die fachliche und betriebswirtschaftliche Kompetenz stärken.
  • Starten Sie damit, mehr Freiheit in kleinen Bereichen einzuführen und die Wirkung dieser Maßnahmen in einem Sechsmonatszyklus zu evaluieren. Was sich dabei bewährt, kann bleiben. Schritt für Schritt können Sie dann auf die gleiche Weise Neues einführen, ohne die Organisation zu überfordern.
  • Bauen Sie in kleinen Schritten eine Vertrauenskultur auf, indem Sie immer wieder zu einfachen Fragen Feedback einholen und offene Antworten wertschätzend annehmen ("War meine Präsentation jetzt zu lange?" "Habe ich das jetzt verständlich erklärt?"). So entsteht mehr offener Austausch im Team.
  • Erweitern Sie die Themenfelder der Partizipation: Wenn Mitarbeiter in Design-Thinking-Workshops an der Produktentwicklung beteiligt sind, könnten sie genauso gut an der Strategie- und Organisationsentwicklung mitwirken. Das bedeutet nicht Basisdemokratie, sondern wertvolle Ideen von jenen einfließen zu lassen, die im Alltag "an der Basis" arbeiten, Kunden betreuen oder operative Prozesse bewältigen.
  • Nehmen Sie sich als Führungskraft nicht zu wichtig. Pflegen Sie Dialoge, in denen Sie mehr Fragen stellen und zuhören als Ansagen machen.

Schritt für Schritt werden Mitarbeitende auf diese Weise zu Mitgestaltern ihres Arbeitsumfelds. Wenn sich alle gemeinsam für das Funktionieren und die Zukunftsfähigkeit der Organisation einsetzen, entsteht New Leadership. (Marianne Grobner, 23.3.2021)