Es könnte zu einer dieser optischen Täuschungen werden, die im Internet viral gehen: Ist die Stofftapete im Kleinen Festsaal des Justizministeriums grün, türkis oder türkis-grün? Vizekanzler Werner Kogler und Justizministerin Alma Zadić sind sich bei der Tapetenfarbe nicht einig, dafür überall sonst.

Das sind gute Voraussetzungen für die grüne Staffelübergabe im Justizministerium: Zadić ist aus der Babypause zurück und übernimmt von Interimsminister Kogler. Dem ist in ihrer Abwesenheit angesichts der türkisen Angriffe auf die Justiz nicht langweilig geworden.

STANDARD: Als Alma Zadić in Mutterschutz war, hat die ÖVP die Justiz angegriffen, als Rudolf Anschober im Krankenstand war, hat sie die Suspendierung zweier Beamter im Gesundheitsministerium gefordert. Darf ein grünes Regierungsmitglied das eigene Ressort nie aus den Augen lassen, weil sonst die ÖVP ihre Attacken startet?

Werner Kogler: Den politischen Stil sollen andere beurteilen. Für uns ist das Ergebnis relevant. Und in der Justiz ist es doch klipp und klar so: Dort, wo man in der öffentlichen Debatte den Eindruck von Attacken gewinnen konnte, haben wir uns eindeutig vor die unabhängige Justiz gestellt. Sie ist ein zentrales Fundament des Rechtsstaates und eine der wesentlichen Säulen einer liberalen Demokratie. Da darf es sachliche Kritik an einzelnen Entscheidungen geben, aber die pauschale Kritik ist letztlich abgeperlt. Insofern war das vielleicht sogar eine heilsame öffentliche Diskussion. Genauso war es vor einem Jahr, bei dieser Aufwallung zur WKStA. Damals wurde in der Folge erreicht, dass wir bei den Budgetverhandlungen viel, viel mehr Geld für die Justiz verhandelt haben.

STANDARD: Haben Sie mit Kurz weiterhin eine gute und vertrauensvolle Gesprächsbasis?

Kogler: Ja, die ist tatsächlich sehr gut.

STANDARD: Frau Zadić, vertrauen Sie der ÖVP jetzt weniger als vor Ihrer Abwesenheit?

Alma Zadić: In erster Linie geht’s mir um konstruktive Zusammenarbeit, und das war auch mein Eindruck, als ich zum ersten Mal seit meiner Rückkehr wieder im Ministerrat war. Es ist eh klar: Wir sind zwei sehr unterschiedliche Parteien, die sehr unterschiedliche Ausrichtungen haben. Aber letzten Endes zählt das Ergebnis.

STANDARD: Wie oft haben Sie sich während Ihrer Abwesenheit zusammenreißen müssen, sich nicht öffentlich zu Wort zu melden?

Zadić: Wer mich kennt, weiß, dass ich schwer loslassen kann. Aber es war eine sehr spannende Zeit für mich und meine Familie. Frisch nach der Geburt ist man de facto im Dauereinsatz, Tag und Nacht. Aber bei den wesentlichen Weichenstellungen der vergangenen Wochen waren der Vizekanzler und ich sehr gut abgestimmt, haben auch viele Telefonate geführt.

STANDARD: Herr Kogler, wie froh sind Sie, dass Sie das Justizministerium wieder los sind?

Kogler: Als die Alma uns mitgeteilt hat, dass sie ein Kind erwartet, war klar, wir müssen eine Entscheidung treffen, wer sie vertritt. Sie hat mich gebeten, ihre Vertretung zu übernehmen. Ich habe diese Verantwortung gerne wahrgenommen. Das wäre auf Dauer kein Zustand, ich muss es wirklich so sagen: Du kannst nicht Parteichef und Justizminister sein. Allein schon aus dem Grund ist es gut, dass das Ministerium wieder in den gewohnten und besten Händen zurück ist. Die wesentlichsten Fragen in dieser sehr bewegten Zeit meiner Vertretung wurden alle gemeinsam entschieden – von Kindeswohlkommission bis Bundesstaatsanwaltschaft.

"Du kannst nicht Parteichef und Justizminister sein": Werner Kogler, bis vor wenigen Tagen Parteichef und Justizminister.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

STANDARD: Es gab Sicherstellungen bei Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter, Oberstaatsanwalt Fuchs, dem nun suspendierten Sektionschef Christian Pilnacek. Gibt die Justiz nicht gerade ein miserables Bild ab?

Zadić: Das Gegenteil ist der Fall. Die Staatsanwaltschaft ist gesetzlich verpflichtet, allen Verdachtsmomenten objektiv nachzugehen. Dabei ermittelt sie alles, was gegen einen Beschuldigten spricht, aber auch alles, was für ihn spricht – und zwar unabhängig vom Ansehen der Person oder der Institution. Davon zeugen ja gerade die Ermittlungen, die jetzt medial öffentlich wurden.

STANDARD: Haben Sie mit Fuchs und Pilnacek geredet, seit der eine suspendiert und dem anderen das Handy abgenommen wurde?

Zadić: Ich habe mit Oberstaatsanwalt Fuchs ein Gespräch geführt. Wir sind zum Schluss gekommen, dass es jetzt wichtig ist, dass er seine Fach- und Dienstaufsicht über Wirtschafts- und Korruptionsstrafsachen, über Verschlusssachen und über die Agenden im Zusammenhang mit dem Ibiza-U-Ausschuss abgibt. Bis alle Vorwürfe ausgeräumt sind, wird es auch so bleiben.

STANDARD: Es war Fuchs’ Idee, dass er diese Agenden abgibt?

Zadić: Ja, wir haben die Details in einem gemeinsamen Gespräch geklärt.

STANDARD: Und Pilnacek?

Zadić: Ich hatte seit meiner Rückkehr keinen Kontakt zu ihm.

STANDARD: Wie ist die Zusammenarbeit mit Gernot Blümel gerade, ist da alle Skepsis bei den Grünen ausgeräumt?

Kogler: Die Frage ist ja mit dem Misstrauensantrag auf die parlamentarische Ebene gekommen. Sie wissen, wie die Abstimmung ausgegangen ist. Ich habe mich tatsächlich dort nicht eingemischt, weil ich ja zu dieser Zeit Justizminister war. Wesentlich ist: Es muss einerseits ohne Bremse, ohne Beeinflussung und ohne Ansehen der Person ermittelt werden können. Das passiert. Dafür garantieren wir beide. Andererseits sollte man aus einem Ermittlungsschritt allein noch kein schuldhaftes Handeln ableiten. Diese Art von politischer Vorverurteilung kann man nicht wollen, wenn man gleichzeitig will, dass straight, ohne Barrieren ermittelt wird – anders, als man das in Österreich vielleicht gewohnt ist. Hier ist eine Balance zu finden, und das ist genau das, wofür es die Grünen auch gibt. Das ist natürlich ein gewisser Kulturwandel, der sich da abspielt.

"Ich bin der festen Überzeugung, dass Kinderbetreuung, aber auch Familienarbeit sowie die Aufteilung von Macht, Verantwortung, Arbeit und Geld partnerschaftlich und gleichberechtigt zu erfolgen haben und dass beide Partner das auch mittragen müssen": Alma Zadić.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

STANDARD: Im Impfstreit musste mit Clemens Martin Auer ein Beamter im Gesundheitsministerium seine internationalen Agenden abgeben. Ist es nicht peinlich, sich als verantwortlicher Politiker an Beamten abzuputzen?

Kogler: Das Ziel der Regierung ist die Umsetzung der Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs, nämlich dass die Länder zum gleichen Zeitpunkt gleich viele Impfdosen pro Kopf bekommen sollen. Dass in einem Steering Board zusätzliche Regeln geschaffen wurden, die das aus dieser Balance bringen, war nicht jedem in dem Sinn klar. Wenn das dann dazu führt, dass europäische Länder hier ungleichmäßig beliefert werden, dann ist das zu korrigieren, und da stimme ich dem Bundeskanzler wie auch dem Gesundheitsminister zu. Clemens Auer hat in der Folge selber seinen Rückzug angeboten. Das Ergebnis finde ich insofern gut nehmbar, als mit Sektionschefin Katharina Reich eine hervorragend geeignete Person sowohl die Impfkoordination in Österreich übernommen hat als auch die Vertretung auf der europäischen Ebene.

STANDARD: Aber kann es tatsächlich sein, dass ein einzelner Beamter hier quasi heimlich regiert, die gesamte Staatsspitze uninformiert lässt – oder ist es nicht vielmehr die Pflicht von Regierungspolitikern, sich gerade bei so wichtigen Dingen ständig und in allen Details auf dem Laufenden halten zu lassen?

Kogler: In dem Fall ist es ja so, dass bei einer Zusatzoption von etwa 130.000 Dosen offenbar eine Information gefehlt hat. Da hat das fünfte Detail hinten drangepickt große Konsequenzen gehabt für das, was vorne passiert. Deswegen hat der bisherige Impfkoordinator ja offenbar diesen Schritt von sich aus angeboten.

STANDARD: Die Regierung plant eine unabhängige Weisungsspitze für die Justiz, das klingt ja gut. Aber deren Entscheidungen werden öffentlich nicht so wahrgenommen, sie hat keine politische Verantwortung. Ist das nicht ein Nachteil?

Zadić: Es ist ein überholtes Konzept, dass die politische Spitze letzten Endes, zumindest theoretisch, über Ermittlungen der Staatsanwaltschaft entscheidet – und da spreche ich auch gegen mich als Justizministerin und auch gegen zukünftige Justizministerinnen. Daher empfinde ich es als richtig und wichtig, dass die Weisungsspitze entpolitisiert wird. Der oder die zukünftige Bundesstaatsanwältin soll eine fachlich versierte Person sein und nach objektiven Kriterien bestellt werden. Was Sie angesprochen haben, ist Kontrolle, auch die parlamentarische Kontrolle der zukünftigen Bundesstaatsanwaltschaft. Dabei ist für uns zentral, dass die parlamentarische Kontrolle gewohnt hoch bleibt.

Werner Kogler und Alma Zadić befürworten eine konstruktive Zusammenarbeit in der Koalition mit der ÖVP.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

STANDARD: Die ÖVP wollte den Bundesstaatsanwalt nie, hat ihn aber bei den Verhandlungen zum Informationsfreiheitsgesetz in letzter Minute eingebracht. Wissen Sie schon, warum?

Zadić: Es wird Zeit, dass wir die Staatsanwaltschaft auf von der Politik unabhängige Beine stellen. Und da bin ich froh, dass unser Koalitionspartner das mittlerweile genauso sieht.

STANDARD: Aber dass etwas anachronistisch ist, hat die ÖVP ja bisher auch nicht davon abgehalten, daran festzuhalten. Sind Sie nicht misstrauisch geworden?

Zadić: Ich glaube, sie haben gesehen, dass die Argumente für eine entpolitisierte Staatsanwaltschaft überzeugend sind und dass das eine gute Sache ist.

STANDARD: Da müssen Sie jetzt aber selbst ein bisschen lachen.

Kogler: Das ist der Nachteil daran, dass wir gerade keine Maske tragen.

STANDARD: Das alte Klimaschutzgesetz, das die Emissionsbeschränkungen festschreibt, ist mit 2020 ausgelaufen, der Nachfolger lässt noch immer auf sich warten. Woran hapert’s?

Kogler: Es sind ja mehrere ganz große Änderungen und Würfe in der Pipeline gewesen, einer davon ist letzte Woche erst präsentiert worden: das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz. Und ich weiß von Leonore Gewessler, dass mit Hochdruck am Klimaschutzgesetz gearbeitet wird. Ich gehe davon aus, dass das auch demnächst fertig wird. Wir sind jedenfalls in intensiver Verhandlung.

STANDARD: Sind die Verhandlungen so intensiv, weil die ÖVP keine strengen Regeln beim Klimaschutz will?

Kogler: Klimaschutz ist ja einer der Punkte, wo von vornherein unterschiedliche Zugangsweisen da waren, aber eine Übereinstimmung insgesamt darüber gefunden wurde, dass es wesentlich ambitioniertere Schritte braucht. Im Detail ist das natürlich immer zu verhandeln. Auch bei der Normverbrauchsabgabe ist einiges gelungen, das gefällt auch nicht allen. Die Verhandlungen zum Klimaschutzgesetz sollten aber bald in die Schlussgerade gehen.

Alma Zadić wünscht auch männlichen Politikern eine Auszeit für die Kinder. Werner Kogler findet das im Sinne der Vorbildwirkung "wünschenswert".
Foto: Heribert Corn www.corn.at

STANDARD: Es ist in den letzten Jahren zur Normalität geworden, dass Ministerinnen während ihrer Amtszeit ein Kind bekommen und dafür auch ein paar Wochen die Amtsgeschäfte abgeben. Wär’s langsam nicht auch wichtig, dass sich männliche Regierungsmitglieder eine Auszeit nehmen, um sich der unbezahlten Arbeit zu Hause zu widmen?

Zadić: Wir sind erst dann bei der Gleichstellung angekommen, wenn man nicht nur Frauen die Frage stellt, wie das vereinbar ist mit Familie und Beruf, sondern wenn man diese Frage auch Männern stellt.

Kogler: Das tut er ja.

Zadić: Und das ist gut so. Ich bin der festen Überzeugung, dass Kinderbetreuung, aber auch Familienarbeit sowie die Aufteilung von Macht, Verantwortung, Arbeit und Geld partnerschaftlich und gleichberechtigt zu erfolgen hat und dass beide Partner das auch mittragen müssen. Ich bin ja auch in einer privilegierten Situation und habe das Glück, sehr viel Unterstützung zu haben. Es darf jedoch kein Privileg sein, dass auch Väter für ihre Kinder da sein und bei ihnen zu Hause bleiben können.

Kogler: Wenn man von der Vorbildwirkung der Politik ausgeht, wäre das wünschenswert. (Sebastian Fellner, 19.3.2021)