Bei der Rekrutierung der künftigen DSN-Bediensteten wäre Kontinuität jedenfalls ein Fehler, sagt der Historiker Thomas Riegler im Gastkommentar.

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Das BVT hat ausgedient, die Schattenmänner werden neu organisiert.
Foto: Picturedesk / Georges Schneider

Das skandalumwitterte Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) wird also künftig Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) heißen. Wie sich aus dem etwas sperrigen neuen Namen ergibt, verfügt Österreich zum ersten Mal in seiner Geschichte über eine nachrichtendienstliche Struktur für das Innere – auch wenn diese nur eine "Hälfte" des neuen Amts bildet. Für Österreich ist es dennoch Neuland. Denn hierzulande war Staatsschutz seit den Tagen von Kaiser Karl VI., Anfang des 18. Jahrhunderts, alleinige polizeiliche Angelegenheit. Das drückte sich in der Bezeichnung der 1945 neu aufgestellten Staatspolizei aus. Diese war unter anderem für Spionage- und Terrorismusabwehr, Personen- und Objektschutz zuständig – ohne dafür adäquat ausgestattet zu sein.

Das blieb gegnerischen Nachrichtendiensten im Kalten Krieg natürlich nicht verborgen. So analysierten DDR-Militärspione die Unzulänglichkeiten der Staatspolizei Ende der 1980er-Jahre. Manche der Befunde lesen sich wie aus dem Hier und Jetzt: Der Personalstand sei "gemessen an den zu lösenden Aufgaben" nicht ausreichend, die Qualifizierung der Mitarbeiter erfolge allenfalls "im Prozess der täglichen Arbeit", und es sei nicht gelungen, "einen stabilen Kaderstamm zu entwickeln". Den DDR-Agenten stieß besonders sauer auf, dass die Operationen ihrer westlichen Konkurrenten in Österreich "weitgehend toleriert" würden.

Laxe Gesetze

Dafür waren aber auch laxe Gesetze verantwortlich. Bis heute sind Spionageaktivitäten nur dann strafbar, wenn sie sich gegen heimische Interessen richten. Das hängt mit dem Status Österreichs als Begegnungsort zusammen, wo viele internationale Organisationen ihren Sitz haben. Spionage wurde als Begleiterscheinung in Kauf genommen. Und weil sich die Supermächte im Kalten Krieg vor allem gegenseitig auskundschafteten, erschien eine effektive Abwehr nicht notwendig.

2002 wurde dann die Staatspolizei gemeinsam mit zwei Sondereinheiten zum BVT verschmolzen. Dieses war nun ein Hybrid aus Polizei und nachrichtendienstlichen Elementen. Viele Mängel blieben aber bestehen – gleich ob die dünne Personaldecke, unklare Zuständigkeiten oder eine hohe Abhängigkeit von ausländischen Partnern. So war es nicht überraschend, dass dem BVT die Herausforderungen über den Kopf wuchsen. Nicht nur, dass Österreich selbst zum Ziel von Spionage und Cyberattacken geworden ist, 2020 wurde das Land nach Jahrzehnten wieder von einem Terroranschlag erschüttert. Dazu kam es auch, weil man in einem kritischen Moment keine Ressourcen frei hatte, um gegen den als gefährlich erkannten späteren Attentäter vorzugehen.

Zivile Außenseiter

Der Druck, die 2019 eingeleitete Reform des Verfassungsschutzes zu Ende zu bringen, wurde so immer größer. Nun wurden deren Eckpunkte erstmals vorgestellt. "Völlig neu", so wie angekündigt, wird der Verfassungsschutz dadurch aber nicht, sondern es ist Kontinuität angesagt. Denn die DSN ist auch weiterhin dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit unterstellt und bleibt "Teil einer Sicherheitsbehörde".

Dafür erfolgt intern eine organisatorische Trennung in einen polizeilichen Staatsschutz- und einen nachrichtendienstlichen Bereich. Letzterer wird damit für Analyse und Früherkennung von Gefahren zuständig sein. Das war im BVT bislang unterentwickelt – auch weil die Polizei darauf ausgerichtet ist, zu ermitteln, wenn etwas passiert ist. Bei Terrorismus kommt es aber darauf an, bereits im Vorfeld tätig zu werden, um die Ausführung zu verhindern. Damit dieser Nachrichtendienstbereich wirklich funktioniert, wird es auf mehr Mehrsprachigkeit, Diversität und Expertise ankommen. Bislang wurde zu stark aus der Polizei rekrutiert, mit dem Effekt, dass zivile Verwaltungsbedienstete Außenseiter blieben.

Kurze Wege

Das konkrete Einschreiten wiederum wird Sache der Staatsschutzkollegen sein, denn Nachrichtendienstler dürfen niemanden festnehmen. Hier ist es durchaus ein Vorteil, dass die Wege zwischen den beiden Abteilungen so kurz sind. Die "Feuermauer" dazwischen wird die Geheimhaltung von Informationen erleichtern. Denn in der Vergangenheit soll aufgrund der Berichtspflicht an die Staatsanwaltschaft zu viel nach außen durchgedrungen sein. Als es dann 2018 zu einer Razzia im BVT kam, war das Vertrauen der ausländischen Partner endgültig dahin. Von daher ist die Reform auch ein Versuch, das zerschlagene Porzellan wieder zu kitten.

"Die Reform und ihre lange Vorgeschichte sagen viel über Österreich selbst aus."

Die offenen Punkte betreffen einerseits die Frage der Kontrolle, denn Nachrichtendienste werden vom Parlament kontrolliert. Eine weitere offene Baustelle ist die Zusammenarbeit der neuen DSN mit den beiden Nachrichtendiensten des Bundesheeres. Hier wäre nach deutschem Vorbild ein gesamtstaatliches Lagezentrum mit enger Anbindung an das Bundeskanzleramt anzudenken. Damit wäre gewährleistet, dass nachrichtendienstliche Information rechtzeitig an ihren jeweiligen Empfänger gerät.

Letztendlich sagen die Reform und ihre lange Vorgeschichte viel über Österreich selbst aus. Zu lange ist man bei der notwendigen, zeitgemäßen Adaptierung der inneren Sicherheit säumig geblieben. Neben einer durch die Neutralität bedingten Sorglosigkeit und einem betriebswirtschaftlichen Zugang in Sachen Sicherheit war dafür aber auch eine Distanz zum Thema Nachrichtendienste verantwortlich. Es bleibt zu hoffen, dass dieses in der öffentlichen Auseinandersetzung präsent bleibt, sowohl was die Chancen als auch die Risiken angeht. Denn die Reform des Verfassungsschutzes hat gerade erst begonnen. (Thomas Riegler, 20.3.2021)