Ohne Haftungsübernahme müssten die EU-Staaten noch lange auf Corona-Impfstoffe warten.

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In der an Skandalen nicht so armen Saga um die Corona-Impfungen wurde vergangene Woche ein neuer Skandal aufgedeckt: Die EU habe, so ließ ein mediengewandter Rechtsanwalt wissen, die Pharmakonzerne von der Haftung für mögliche Impfschäden befreit und dies geheim gehalten. Und ein Patientenanwalt sprach sogleich von einem Kniefall der Staaten vor der Pharmabranche.

Allerdings stimmt an dieser Skandalmeldung nur wenig: Erstens ist die Übernahme der Haftung durch die EU nicht neu, und sie ist zweitens gut begründet. Ein Verzicht darauf hätte Europa wohl tausende weitere Menschenleben gekostet.

Übernahme von Schadenersatzzahlungen

Begonnen hat es mit einem Gastkommentar des Wiener Anwalts Andreas Eustacchio in der Presse am vergangenen Montag, in dem er darauf hinwies, dass die EU in mehreren Verträgen mit den Impfstoffherstellern zugestimmt hat, die Konzerne für allfällige Schadenersatzzahlungen von den Mitgliedsstaaten schadlos zu halten. In seinem Beitrag legte er auch objektiv die Umstände dar, die zu dieser Entscheidung geführt haben. Die gleiche Information hatte die Rechtsanwältin Francine Brogyanyi in einem Standard-Beitrag bereits im Jänner geliefert. Sie sprach damals von einer Haftungserleichterung. Die genaue Regelung ist unbekannt.

Im Ö1-Morgenjournal am Freitag kritisierte Eustacchio diese Klausel, weil das Produkthaftungsgesetz ja ausreiche, um Unternehmen vor teuren Klagen nach unerwarteten Schäden zu schützen. Im Ö1-Mittagsjournal reagierte der sonst recht vernünftige Patientenanwalt Gerald Bachinger mit Empörung. Die EU hätte das nie machen dürfen, es sei "ein ungeheuerlicher Anschlag auf das Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die Sicherheit der Impfstoffe" sowie ein "Freibrief für die Senkung von Sicherheitsstandards".

Bachingers unberechtigte Vorwürfe

Bachingers Zorn wird wohl von vielen Zuhörern geteilt, die Pharmaindustrie ist schon seit Jahrzehnten eine beliebte Zielscheibe für antikapitalistische Rhetorik. Aber in diesem Fall sind die Vorwürfe besonders unberechtigt.

Ohne eine zumindest teilweise Übernahme des Haftungsrisikos hätten sich Astra Zeneca, Pfizer und andere nie getraut, nach so kurzer Zeit der Prüfung ihre Corona-Impfstoffe auf den Markt zu bringen. Sie hätten wohl zumindest ein weiteres Jahr getestet, um allfällige Risiken auszuschalten. Das Produkthaftungsgesetz wäre von den Hausjuristen kaum als ausreichendes Argument gesehen worden, um Milliardenrisiken im Falle von unvorhersehbaren Nebenwirkungen einzugehen.

Zum Glück hat die EU die Haftung geregelt, Sonst müssten wir alle noch viel länger auf Corona-Impfungen warten.

War die EU zu vorsichtig?

Man kann der EU den gegenteiligen Vorwurf machen: Sie hat viel zu lange über die Haftungsfrage verhandelt und damit den Start der Impfkampagne verzögert. In den USA hat die Trump-Regierung bedingungslos übernommen – eines der Gründe, dass in den USA ein mehr als ein doppelt so großer Bevölkerungsanteil bereits durchgeimpft ist als in der EU.

Wie der linksliberale Nobelpreis-Ökonom Paul Krugman zuletzt in einer Kolumne der New York Times ausgeführte, hat die EU bei den falschen Risiken Vorsicht walten lassen, so etwa bei der Frage, wer für Impfschäden finanziell aufkommt, und das viel größere Risiko ignoriert: die menschlichen und ökonomischen Verluste durch die verzögerte Bekämpfung der Pandemie. Und die sind viel höher als alle Impfschaden-Haftungen. (Eric Frey, 20.3.2021)