Kurzer Zusammenstoß bei der Corona-Demo am Samstag in Wien: Die Polizei riegelte den Gürtel ab, Burschen im Hooligan-Style wollten sich damit nicht abfinden.

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Die Frau mit dem Tamburin in der Hand schnappt nach Luft. Pflichtschuldig hatte sie sich eine Maske über Mund und Nase gezogen, doch mit jeder Minute, in der sie sich in Rage redet, rutscht der Stoff ein Stück nach unten. Empörend findet sie, was ihr Gegenüber da eben eingestanden hat: "Was, Sie lassen sich impfen? Wenn das Zeug einmal drinnen ist, kriegen Sie es nie wieder raus!"

Eine Riesensauerei spiele sich da ab, schimpft sie und meint damit nicht nur die laufenden Corona-Impfungen, die Bürger zu Versuchskaninchen umfunktionierten. Als Pflegerin bei einem mobilen Dienst habe sie die alten Patienten aufzuklären versucht, worauf sie hochkant rausgeschmissen worden sei. Wie sich Menschen denn sonst gegen das Virus schützen sollen, wenn nicht mit einem Vakzin? "Gehen Sie an die frische Luft, nehmen Sie Vitamin D ein, tun Sie was für Ihr Immunsystem."

DER STANDARD

An diesem Samstagmittag muss die Ex-Betreuerin, vom STANDARD-Reporter abgesehen, niemanden überzeugen. Mit Gleichgesinnten hat sie sich vor dem Wiener Hauptbahnhof zu einer aus Angst vor einem präventiven Verbot nicht offiziell angemeldeten Demo gegen die Corona-Maßnahmen eingefunden – was gar nicht so einfach war.

Die Tests in den Arsch stecken

Um mit der Polizei Katz und Maus zu spielen, haben die Organisatoren die Treffpunkte erst kurz vor dem Start genannt, damit aber auch bei den eigenen Anhängern Verwirrung gestiftet. Erst hieß es Ring, dann Hauptbahnhof, schließlich sogar "Hauptbahnhof am Ring", was sich geographisch um zweieinhalb Kilometer nicht ausgeht. In den einschlägigen Chatgruppen mehrten sich genervte Reaktionen: "Kann man jetzt klipp und klar einen Standort geben?"

So ist wohl nicht allein der eisige Wind daran schuld, dass sich kurz nach 13 Uhr nur ein überschaubares Grüppchen aufmacht. Vorne weg marschieren Burschen im Hooliganstyle, wie man ihn auch auf Fantribünen in Fußballstadien sieht, dahinter folgt ein bunter Haufen. Manche haben sich Fliegerohren aus Plastik aufgeklebt, einige plärren in Megafone. Zwei Männer mit Wurzelsepphüten lassen Schlagermusik aus einem Lautsprecher dröhnen, drei Frauen haben sich in weiße Overalls gehüllt, auf denen Pfeile zum Hinterteil weisen: "Steckt euch eure Tests in den Arsch."

"Es geht darum, die Leute einzuschüchtern": Wer sich unter Demonstranten umhört, stößt auf manche Verschwörungstheorie – aber oft einfach auch nur auf Frust und Ratlosigkeit.
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Je länger der Tross durch den dritten Bezirk mäandert, desto mehr gewinnt jedoch der Typus des unscheinbaren Allerweltbürgers an Übergewicht. Vor Corona habe er in 68 Lebensjahren nie auf der Straße gegen irgendetwas protestiert, erzählt ein grauhaariger Mann mit Mantel, Hut und Brille. Das korrekte Wording, das vor Strafen durch "eingeschleuste" Polizeibeamte schützen soll, hat er dennoch intus wie ein Routinier: "Eine Demonstration? Aber wo! Ich geh' nur spazieren."

Warum er das gerade hier und jetzt tut, erklärt der Pensionist mit der schleichenden Entrechtung, die sich im Zuge der Corona-Krise breitmache: "Das wird nie enden. Wir sind auf dem Weg in die Diktatur. " Er wolle ja gar nicht bestreiten, dass das Virus existiere, aber eine Pandemie? "Hörn's ma auf! Eine Pandemie ist für mich, wenn ich auf einer Stiege mit zehn Leuten wohne, und vier davon fallen tot um."

Die Leute einschüchtern

Corona sei nicht schlimmer als die Grippe, stimmt ein jüngerer Mann ein paar Meter weiter ein. Welchen Grund die Regierung denn habe, die Situation künstlich aufzubauschen? "Ist doch logisch", kommt es retour, "um die Leute einzuschüchtern. Und die Ärzte und Experten hängen selbst am Tropf des Staates."

"Die Regierung zerstört Kinderseelen", ist auf einem Schild zu lesen, das eine Demonstrantin herumträgt, anderswo heißt es: "Eine Plandemie, um sie zu knechten, sie alle zu finden, mit Angst zu entrechten." Doch nicht jeder hier entwirft die große Theorie. Wer sich umhört, dem schlägt oft einfach nur Frust und Ratlosigkeit entgegen. Er wisse ja auch nicht genau, wie das Virus zu bekämpfen sei, sagt ein Mann mit Gitarre, der sich als Sozialarbeiter ausweist: "Aber ich sehe, wie die Kinder in Depressionen versinken." Kritik an der überzogenen Lockdown-Politik werde verunglimpft, beklagen viele, der am öftesten ausgesprochene Satz lautet: "Wir sind keine Corona-Leugner, wir sind keine Rechtsextremen."

Der Kanzler ist das Feindbild Nummer eins: "Kurz muss weg" lautet der Schlager der Protestler.
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Etwa 1.000 Menschen haben sich laut Angabe der Polizei angeschlossen, als der Zug schließlich auf den Gürtel einschwenkt. Auf der Gegenfahrbahn hupen Autofahrer aufmunternd zu, von den Fenstern schreien einzelne Anrainer "Covididoten" herunter, andere hingegen teilen Bierdosen aus. "Wir sind das Volk", skandiert die Masse immer wieder, als absoluter Schlager entpuppt sich "Kurz muss weg." Ein prominenter Einpeitscher fehlt diesmal jedoch. Anders als bei der Demo vor zwei Wochen ist FPÖ-Klubchef Herbert Kickl nicht gekommen.

Gerangel mit der Polizei

Dafür baut sich am Margaretengürtel vor und hinter der Gruppe die Polizei auf. Weil zwar der Abstand halbwegs eingehalten, die Maskenpflicht jedoch weitgehend ignoriert wurde, hat die Exekutive die Veranstaltung für aufgelöst erklärt. Wer will, darf noch rasch das Weite suchen, alle anderen müssen mit Anzeigen rechnen.

Die Hooligan-affine Vorhut will sich damit nicht abfinden. Ineinander eingehakt drängen die Demonstranten auf die in voller Montur postierten Beamten zu. Das Gerangel dauert nur ein paar Augenblicke, am Ende meldet die Polizei elf Festnahmen und den Einsatz von Pfefferspray. Einer, der eine Ladung abbekommen hat, schreit den Ordnungshütern entgegen: "Verdammte Scheiße, was führt's ihr auf mit uns? Seid's ihr keine Menschen oder was?"

Ein paar Schritte weiter stimmt ein Paar die Bundeshymne an. Drei Wochen sei sie mit Covid-19 danieder gelegen, erzählt der weibliche Teil des Duos nach dem letzten Ton, trotzdem hält sie die Gegenmaßnahmen für maßlos übertrieben. Gezielte Panikmache sei die Strategie hinter all dem, glauben die beiden zu wissen. Mit welchem Zweck? "Der große Reset, die Abschaffung des Bargeldes, die vierte Industrielle Revolution, damit nur mehr Roboter arbeiten. Die Menschen werden dumm gemacht." (Gerald John, 20.3.2021)