Sie haben sich darum nicht gerissen: Weder ÖVP noch Grüne hatten vor, am geltenden Verbot der Sterbehilfe zu rütteln. Weil aber der Verfassungsgerichtshof (VfGH) anderes vorsah, muss die Koalition dieses heiße Eisen nun doch angreifen.

Konkret hat der VfGH im Dezember mit Wirkung 2022 jenen Passus des Strafgesetzes aufgehoben, der Hilfe bei einem Suizid verbietet (siehe Wissen), und der Politik einen Auftrag mitgegeben: Der Gesetzgeber habe "Maßnahmen vorzusehen", damit Betroffene von Druck unbeeinflusst entscheiden können.

Die Mitwirkung an der Selbsttötung ist ab 2022 erlaubt. Doch wie lässt sich verhindern, dass Alte und Kranke unter Druck kommen?
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Verbindlich ist dieser Wunsch nicht. Die Regierung könnte das Verbot auch einfach auslaufen lassen. Weil aber niemand einen Wildwuchs in der Praxis will, muss Türkis-Grün bis zum Sommer einen Gesetzesentwurf zusammenbringen, damit sich Begutachtung und Beschluss bis Jahresende ausgehen.

Reichlich spät sei die Regierung bereits dran, tönt es aus der Opposition. SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim fragt sich, "wann denn endlich zu Gesprächen eingeladen wird". Die gesellschaftliche Debatte müsse in die Gänge kommen, mahnt auch der Neos-Mandatar Gerald Loacker. In einer parlamentarischen Anfrage an die grüne Justizministerin Alma Zadić fordert er mehr Informationen über die Gesetzespläne der Koalition.

Nicht nur die Minimalvariante

Die gibt es aber noch nicht wirklich, ist in dem auf ÖVP-Seite zuständigen Kanzleramtsministerium von Karoline Edtstadler zu erfahren: Beratungen seien im Gange, doch formelle Gespräche mit dem Koalitionspartner stünden erst an. Innerhalb der Grünen existiert, wie Verfassungssprecherin Agnes Sirkka Prammer verrät, noch nicht einmal eine einhellige, abgestimmte Position. Das Justizministerium verspricht, "so früh wie möglich" einen breiten Diskussionsprozess mit Experten und der Zivilgesellschaft zu starten.

Am Ende soll – so beteuern es die Regierungsparteien – ein Beschluss stehen, den möglichst alle Parlamentsfraktionen mittragen. Dabei soll mehr herauskommen als nur eine Minimalvariante, die der VfGH wohl erst recht wieder abschmettern würde. Beihilfe zum Suizid soll nicht bloß auf die Minimalvariante beschränkt werden, jemanden zu einem Sterbehilfeverein ins Ausland zu begleiten – was derzeit noch strafbar ist.

Die Hilfeleistung beim Suizid – im Gesetz steht immer noch der wertende Begriff "Selbstmord" – wird also auch in Österreich erlaubt sein. Doch in welcher Form? Einige Knackpunkte zeichnen sich bereits ab.

Heikle Beihilfe

Zuallererst stellt sich die Frage, unter welchen Umständen Beihilfe erlaubt ist. Man wolle nicht einem 20-jährigen mit Liebeskummer die Möglichkeit zum Suizid einräumen, heißt es aus dem Kanzleramtsministerium: Denkbar sei es deshalb, den Anwärterkreis auf Menschen mit schwerer Krankheit zu beschränken. Das deckt sich mit den Vorstellungen aller Oppositionsparteien, wobei die FPÖ grundsätzlich jede Beschränkung gutheißt, zumal sie mit dem verfassungswidrigen strengen Verbot inhaltlich zufrieden ist. Sozialdemokratin Yildirim will nicht, dass jemand, der "in einer Lebenskrise steckt", von der neuen Option Gebrauch machen kann. Den Neos schwebt eine Begrenzung des Personenkreises auf körperlich schwer Erkrankte vor. Wolfram Proksch, Anwalt hinter dem erfolgreichen Antrag am VfGH, hält einen Ausschluss psychisch Leidender indes für ausgeschlossen: "Das wäre sachlich nicht begründbar."

Um zu unterscheiden, ob der Todeswunsch Ausdruck einer therapierbaren psychischen Störung ist oder auf dauerhaftem Entscheid einer urteilsfähigen Person mit schwerem Leiden beruht, bietet sich eine Verpflichtung zu einem oder mehreren ärztlichen Gutachten an. Die Neos schlagen etwa vor, dass jene Ärztin, die das Gutachten erstellt, eine andere sein muss als die, die den Suizid begleitet.

Cool-down-Phase möglich

Außerdem könnte eine Cool-down-Phase vorgeschrieben werden, um voreilige Entscheidungen zu verhindern, heißt es aus dem Kanzleramt – die dürfe aber nicht so weit gehen, dass Betroffene das Gefühl haben, man nehme ihren Willen nicht ernst. Essenziell sei auch die Beratung über Alternativen, um Verzweifelte doch noch vom Suizid abzuhalten.

Eine Kernfrage dabei: Wie lässt sich sicherstellen, dass die Entscheidung zum assistierten Selbstmord allein auf einer freien Entscheidung beruht? Skeptiker haben das Bild eines alten, kranken Menschen vor Augen, der ohnehin schon das Gefühl hat, allen nur zu Last zu fallen – und dann womöglich noch unter subtilem Druck der Erben steht.

Abgesehen von den Sicherheitsmechanismen im Prozedere brauche es auch taugliche Alternativen, um eine echte Wahl zu ermöglichen, sagt die Grüne Prammer, sprich: Ein großes Angebot an Palliativ- und Hospizeinrichtungen für unter Schmerzen leidende und unheilbare kranke Menschen. Die SPÖ plädiert überdies für eine offensivere Kommunikation über die Möglichkeit von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten.

Wer beim Suizid helfen darf

Weiterer Knackpunkt: Wer darf beim Suizid assistieren? Nur Ärzte, Angehörige oder alle, die darum gebeten werden? Auch da stehe die Verfassung zu engen Regelungen entgegen, glaubt der Anwalt Proksch. Eine Beschränkung auf Angehörige etwa sei unzulässig, zumal nicht jeder Mensch welche habe: "Das wäre die nächste Diskriminierung." Ein Verbot von Sterbehilfevereinen, die wie in der Schweiz die Leistung des assistierten Suizids anbieten, wertet Proksch als kurzsichtig. Die Regierung müsse Interesse daran haben, dass der Ablauf in kompetenten Händen liege: "Ich wüsste jedenfalls nicht, wie ich daheim mit einer Dosis Gift umgehe."

SPÖ-Justizsprecherin Yildirim sieht die Kompetenz für die professionelle Begleitung der Sterbewilligen dagegen im öffentlichen Gesundheitswesen. Ihr FPÖ-Pendant Harald Stefan ortet bei Vereinen die Gefahr der Geschäftemacherei mit dem Tod und will dem einen Riegel vorschieben. Die Neos zeigen sich für Vereine nach Schweizer Modell zwar offen, mit dem konservativ-christlichen Flügel der ÖVP sei das aber unrealistisch, glaubt Gesundheitssprecher Loacker.

Ob man Sterbehilfevereine verbieten könne, werde derzeit geprüft, heißt es aus dem türkisen Kanzleramtsministerium. Eines stehe aber fest: Es dürfe kein profitorientiertes Geschäft mit dem Tod geben. (Theo Anders, Gerald John, 22.3.2021)