Mitglieder des österreichischen Verfassungsgerichtshofs werden politisch bestellt. Ob sie dann aber auch im Interesse der Politiker, die sie ins Amt gebracht haben, urteilen, ist aufgrund der Anonymität des Abstimmungsverhaltens nicht nachvollziehbar. Und das ist gut so.

Verfassungsrichter sind formal unabhängig und unabsetzbar. Die Möglichkeit der Bekanntgabe abweichender Meinungen könnte allerdings dazu führen, dass sie sich ihren politischen Unterstützern nach Amtsantritt weiter verpflichtet fühlen. Denn auch Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs sind Menschen, Professorinnen und Anwälte, die nicht unabhängig von ihrem sozialen und politischen Umfeld sind. Sie sollten nicht in die Situation kommen, sich für die Nichtabgabe einer "dissenting opinion" rechtfertigen zu müssen.

Der Gerichtshof ist zwar kein politisches Organ, trifft aufgrund der Brisanz der an ihn herangetragenen Rechtsfragen aber politische Entscheidungen. Die Veröffentlichung von Sondervoten könnte die richterliche Tätigkeit zunehmend politisieren – und das Höchstgericht zum Spielball tagespolitischer Auseinandersetzungen machen.

Die politische Besetzung des Verfassungsgerichtshofs wird oft kritisiert. Gerade die Anonymität des Abstimmungsverhaltens und das geschlossene Auftreten der Richterschaft nach außen garantieren aber seine Unabhängigkeit. (Jakob Pflügl, 21.3.2021)