"Papa, im nächsten Schuljahr bekommen wir Tablets", erzählt mir mein Elfjähriger freudig, als er in einer Pause aus seinem Zimmer kommt. Ich reagiere wenig euphorisch auf die Nachricht. Erstens, weil mir lieber wäre, er hätte verkündet, der unsägliche Schichtbetrieb hört endlich auf; und zweitens – was helfen Tablets, wenn wir immer noch nicht wissen, wie wir sie im Unterricht effektiv einsetzen?

Wir übertragen analoge Formate eins zu eins ins Digitale – und das kommt oft sehr holprig rüber.
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Verstehen Sie mich nicht falsch, es gibt auch ein paar Lichtblicke in der pandemiebedingten Digitalisierung des Bildungssystems. Ich freue mich zum Beispiel riesig, dass ich mit der Schule jetzt über eine App kommunizieren kann (die in Österreich entwickelt wurde und funktioniert!): keine Benachrichtigungen mehr, die unauffindbar zwischen Federpennal, Jausenbox und Heften im Ranzen verschwinden, und kein Stress, um einen halbwegs passenden Termin für den Elternsprechtag auf der ausgehängten Liste zu sichern.

Noch in den Kinderschuhen

Dem Schulsystem ist in puncto Digitalisierung ein Knopf aufgegangen, vielleicht ein kleiner, aber immerhin. Wenn ich vormittags wie ein Hausdiener Jausenbrote serviere und den Fernunterricht meiner Kinder bespitzle, fühle ich mich allerdings wie in die Zeit der Anfänge des Fernsehens zurückversetzt. Wir übertragen analoge Formate eins zu eins ins Digitale – und das kommt oft sehr holprig rüber. In China werden schon KI-basierte Programme zur Unterstützung im Klassenzimmer eingesetzt, sie steigern messbar den Lernerfolg der Kinder. Bei der nächsten Pandemie kaufen wir dann deren Software, oder? Einstweilen zoomen die Kinder, lauschen im Google-Classroom oder chatten auf MS-Teams.

War das im Frühjahr 2020 womöglich die einzige Option, läuft das Bildungssystem jetzt Gefahr, über einen Lock-in-Effekt an die Software großer US-Oligopole gekettet zu werden, die kontinuierlich unsere Metadaten absaugen, unsere Regulatorik unterwandern und, wie ein jüngster Massenhack zeigt, nicht einmal unsere privaten Daten schützen können.

Dabei gibt es Alternativen. Open-Source-Software wie Libre Office, Moodle, die Chatplattform Element oder das Konferenztool Big Blue Button funktionieren nach einem enormen Entwicklungssprung in den letzten Monaten einwandfrei. Sie alle haben gemeinsam, dass sie die Daten bei den Anwendern belassen, diese schützen und sich auf lokale Anforderungen konfigurieren lassen.

Investitionen

Ich beginne zu träumen: Warum investieren wir nicht in eine öffentliche digitale Lerninfrastruktur, die auch die Vorzüge von KI nutzt und Kreativität, Neugierde und kritisches Denken fördert? Mehr als 100 Millionen Euro gibt die Regierung jedes Jahr für gedruckte Schulbücher aus, da könnten wir doch etwas abzweigen. Nur weil sie mit einer großen Beraterfirma das Kaufhaus Österreich versemmelt hat, heißt das nicht, dass es im Land keine Talente gäbe, um so etwas umzusetzen.

Da kommt mein Sohn wieder ins Zimmer und will wissen, was ich gegen Tablets habe, wo er doch dann mit seinem Bruder auf zwei Geräten Minecraft spielen kann. Ich ignoriere letztere Aussage und überlege kurz, ihm zu erklären, warum es in der Digitalisierung mit Hardware allein nicht getan ist, lasse es aber doch bleiben. In den letzten Monaten habe ich genug Lehrer gespielt, heute mag ich nicht und mache uns beiden lieber eine Jause. (Philippe Narval, 22.3.2021)