Endlich Kultur: Vor abgezählt hundert Besuchern fand im Vorarlberger Landestheater ein Tom-Waits-Liederabend statt.

Foto: Vorarlberger LT

Die Testkabinen sind weg. Noch vor wenigen Tagen war das Vorarlberger Landestheater Bregenz ein Corona-Testzentrum. Sanitäter im Vollschutz, Abstriche im Foyer – als hätte sich die Pandemie das Theater einverleibt. Jetzt, am Samstagnachmittag, leuchtet das Haus: Es darf wieder ein Theater sein. Publikum tröpfelt herein, Ältere, Junge, ganz Junge, Anzug, Jeans, Abendkleid, alle sind fröhlich aufgekratzt. Selten hat man ein Publikum aufgeregter erlebt.

In Vorarlberg dürfen seit einer Woche wieder Veranstaltungen vor Publikum stattfinden. Und das Kulturleben im Ländle scheint förmlich zu explodieren, trotz Ausgangssperre, die ab 20 Uhr gilt. Das Landestheater hat ein Programm auf die Beine gestellt, im Theater Kosmos feiert eine Handke-Inszenierung Premiere, nächste Woche zeigt die freie Gruppe Café Fuerte eine Uraufführung in Hittisau, das Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung Unpop zieht in Dornbirn am 1. April mit einer Premiere nach. Ringsherum liegt die Kultur brach. Außer im Fürstentum Liechtenstein, aber dort dürfen aktuell nur zehn Personen eine Veranstaltung besuchen.

Negativer Test Voraussetzung

In Vorarlberg braucht es für den Theaterbesuch einen negativen Corona-Test. Noch bezahlt das Landestheater eine Krankenschwester, um die Mitarbeitenden regelmäßig selber zu testen. Trotzdem kam es während der Proben zu Arthur Millers Alle meine Söhne im Jänner zu einem Corona-Cluster, bis auf den Hauptdarsteller erkrankten alle Beteiligten der Produktion. "Zum Glück hatte niemand einen schweren Verlauf", sagt Intendantin Stephanie Gräve.

Sie ist aufgeregt. Fünf Monate war ihr Theater zugesperrt für das Publikum. Am 28. Oktober 2020 stand ihr Ensemble zum letzten Mal auf der großen Bühne. Jetzt zur Eröffnung wieder ein Liederabend, aber in kleiner Besetzung, als wäre es ein Testlauf.

Endlich geht es los!"

Schauspieler Luzian Hirzel und Musiker Oliver Rath haben einen Tom-Waits-Abend konzipiert. Da nur 100 Personen dabei sein dürfen, hat Stephanie Gräve für die ersten Wochen eine Art Ersatzprogramm erstellt und die Inszenierungen, die im Abo laufen, auf später verschoben. Sie hofft auf den Goodwill des Abopublikums, denn: Zu seinen gewohnten Terminen wird man nicht auf dem gewohnten Platz sitzen können. Und die Abonnenten aus Deutschland dürfen zurzeit gar nicht erst nach Österreich einreisen.

Gleich hinter den schweren Eingangstüren werden am Samstag Ticket und Corona-Test kontrolliert. Seltsam leer ist es im Foyer, doch es vibriert vor Vorfreude. Der alte Feuerwehrmann vor dem Theatersaal strahlt: "Endlich geht es los. Das Leben hat uns wieder!"

Der Zuschauerraum wirkt überraschend voll, dabei sitzen alle auf Abstand. Ein Pärchen rückt das Handy für ein Selfie zurecht: "Sieht man, dass wir im Theater sind?" Man selber zieht verstohlen kurz die Maske runter: Wie riecht es im Theater? Erstaunlich kühl – dann wird es dunkel.

Jubel

Bejubelt Stephanie Gräves kurze Ansprache. Bejubelt Schauspieler Hirzel und Musiker Rath. Bejubelt jeder Song. Dass nur zwei Menschen auf der Bühne stehen, eineinhalb Stunden Songs von Tom Waits performen, mit charmanten Anmoderationen dazwischen, ohne Band, ohne Tamtam, ohne Bühnenbild – egal. Es ist live. Es ist eine Wucht, die direkte Kraft des Schauspielers zu spüren. Sich in Musik und Worte fallenzulassen. Die Bässe wummern im Körper. Die Gefühle tanzen im Herzen. Luzian Hirzel knarzt, säuselt, wispert, singt klar, kraftvoll, findet ganz eigene Zugänge in Waits’ Kosmos. Das Publikum feiert den Schauspieler und sich und das Theater. Als wäre es eine Auferstehung. (Julia Nehmiz, 22.3.2021)