Seit einigen Wochen patrouilliert die Polizei verstärkt rund um den Stephansplatz, um die Einhaltung der Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung durchzusetzen. Im November konnte Angeklagter S. dort noch unbehelligt Alkohol konsumieren.

Foto: Christian Fischer

Wien – "Bier treibt", erkannte bereits der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Den 28-jährigen Philip S. hat die harntreibende Wirkung des Hopfen-Wasser-Malz-Produkts vor Richter Patrick Aulebauer gebracht. Er soll am 17. Februar einen Angestellten mit dem Umbringen bedroht haben, nachdem er im November dessen Arbeitsstätte mit Urin verunreinigt hatte.

"Ich trinke seit dem Lockdown", verrät der arbeitslose Angeklagte dem Richter. So auch an einem Novembertag auf dem Stephansplatz – eine Flasche Wein und ein paar Bier seien es gewesen. Um die zwei Promille werde er schon gehabt haben, schätzt S., der eine bedingte Vorstrafe aus dem Jahr 2018 hat.

Mangelnde Zielgenauigkeit beim Wasserlassen

Bei S. meldete sich ein Ausscheidungsbedürfnis, zur öffentlichen WC-Anlage in der U-Bahn-Station Stephansplatz wollte er entweder nicht gehen oder hatte die zur Benutzung nötigen 50 Cent nicht. Also verrichtete er seine Notdurft bei einem Kanalgitter, sagt er. Das lag vor einer Wechselstube. Laut Zeugen D., der damals dort arbeitete, ließ die Zielgenauigkeit des Angeklagten zu wünschen übrig – Harn floss in das Geschäft.

"Der ist dann gleich schreiend herausgelaufen", wundert sich der Angeklagte heute noch. Aus Schreck sei er geflüchtet, aber von zwei Passanten, die an einen Überfall dachten, zu Boden gebracht worden. Das habe ihn traumatisiert, sagt S., er zeigte die beiden Zeugen auch wegen Körperverletzung an.

Die angeklagte gefährliche Drohung gegen den Angestellten ereignete sich zur Überraschung des Richters aber nicht damals, sondern am 17. Februar. S. kam in die Wechselstube, erinnert sich der 36 Jahre alte D., und fragte, ob der Zeuge sich noch an ihn erinnern könne. "Ich habe ja gesagt, dann wollte er 160 oder 170 Euro für die Strafe, die er damals zahlen musste", erzählt D. dem Richter.

Bedrohter kündigte aus Angst

Da der Zeuge dazu keinen Grund sah, wurde S. wütend und drohte, ihn zu töten, wenn keine Scheibe mehr zwischen ihnen sei. Um die Drohung zu unterstreichen, schlug er auch gegen die Kunststoffabtrennung. "Ich habe wegen dem Herrn gekündigt. Ich wusste ja nicht, ob er das ernst meint", sagt der Zeuge. Daher habe er die Polizei verständigt, obwohl ihm S. eigentlich leidtue. "Vielleicht sollten Sie in Therapie gehen", rät er dem Angeklagten.

Ein Umstand ist Richter Aulebauer noch nicht klar. "Wieso fällt Ihnen drei Monate später wieder ein, dass Sie Herrn D. bedrohen?", fragt er den Angeklagten. "Ich habe an dem Tag einen Brief vom Gericht bekommen, dass das Verfahren gegen die zwei Passanten eingestellt worden ist", schildert der Angeklagte. "Und warum bedrohen Sie dann Herrn D.?", versteht der Richter es immer noch nicht ganz. "Ich war wie jeden Tag am Hauptbahnhof was trinken. An dem Tag war ich schlecht drauf, mir ist auch eingefallen, dass die Passanten mich ja gestoppt haben, weil D. so laut geschrien hat. Dann bin ich aufgestanden und zum Stephansplatz gefahren."

Alkoholisierung kein Milderungsgrund

Bei einer Strafandrohung bis zu einem Jahr Haft entscheidet sich der Richter für sechs Monate bedingt, die offenen vier Monate aus der Vorstrafe widerruft er nicht. "Ich denke, dass es gerade noch möglich ist, es bei einer bedingten Strafe zu belassen", begründet Aulebauer. Und räumt mit einem in der Bevölkerung weitverbreiteten Vorurteil auf: "Die Alkoholisierung ist natürlich nicht mildernd zu werten. Es hat Sie ja niemand gezwungen, zu trinken", stellt er klar.

Die Staatsanwältin ist mit dem Urteil einverstanden, auch S. sagt: "Ich bin zufrieden, danke." Da er aber ohne Verteidiger erschienen ist, hat er automatisch Bedenkzeit, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 22.3.2021)