Die Regierung von Boris Johnson will mit einem hochtrabenden und nostalgischen Weckruf vom "Globalen Britannien" einen weltpolitischen Neubeginn symbolisieren und zugleich von den bedenklichen Folgen des Brexits für den Handel mit Waren und Dienstleistungen ablenken.

Auf 114 Seiten eines Grundsatzdokuments wird in selbstbewusstem Ton die radikalste Überprüfung der Außenverteidigung und der Sicherheitspolitik seit dem Kalten Krieg angekündigt, mit dem ehrgeizigen Ziel, das Land bis 2030 in "eine wissenschaftliche und technologische Superpower" umzuwandeln. Mit einer Investition von mehr als 26 Milliarden Euro für die größte Aufstockung des Armeebudgets seit dreißig Jahren soll das Land an seine historische Rolle als Seefahrernation und als "globale Kraft des Guten" anknüpfen, wie Johnson im Unterhaus erklärte.

Die Regierung von Boris Johnson will mit einem hochtrabenden und nostalgischen Weckruf vom "Globalen Britannien" einen weltpolitischen Neubeginn symbolisieren.
Foto: AFP/CHRISTOPHER FURLONG

Mit der geopolitischen Verschiebung "in Richtung Osten" (gemeint ist Asien) und mit der Erhöhung der selbstgesetzten Obergrenze für Atomsprengköpfe von 180 auf bis zu 260 bekräftigt die Regierung das weltweite außenpolitische Engagement. Im Einklang mit der neuen Formel von der "Hinwendung zum indopazifischen Raum" hat Johnson als diesjähriger Vorsitzender der Gruppe der sieben führenden Industrienationen (G7) für den Juni-Gipfel in England auch die Staats- und Regierungschefs Australiens, Indiens und Südkoreas eingeladen. In diesem Zeichen wird auch im Mai ein neuer Flugzeugträger auf seine Jungfernfahrt in den Indischen Ozean aufbrechen. All das zusammen mit Johnsons Anspielungen auf die historische Rolle Großbritanniens spiegelt nicht nur eine Absage an "den engen Horizont einer regionalen Außenpolitik", sondern auch eine imperiale Nostalgie.

Positionsbestimmung

Es muss allerdings betont werden, dass auch in der neuen Positionsbestimmung das Bekenntnis zur Verteidigung von liberalen Demokratien und offenen Gesellschaften sowie die autoritäre Herausforderung durch Russland und China unterstrichen wurde. Die eigenständige Sanktionspolitik führte seit dem Brexit dazu, dass London wegen Menschenrechtsverletzungen rascher als die EU-Staaten Konto- und Einreisesperren gegen Staatsbedienstete in Russland, Belarus und Myanmar verhängt hat.

Trotzdem sind die außenpolitischen Ambitionen großspurig und kostspielig. Vor allem ist es eine gefährliche Illusion zu glauben, dass mit dem Schlachtruf vom "Global Britain" die bedenklichen Konsequenzen des Bruchs mit einem Markt für 43 Prozent der britischen Exporten verschleiert oder kompensiert werden können. Im krassen Gegensatz zur Johnsons Brexit-Ersatz-Doktrin spottet der Economist am Wochenende über solche britischen Querschüsse gegen die Europäische Union wie den Vorwurf des Impfnationalismus, die Verweigerung des Diplomatenstatus für die EU-Vertretung in London oder die einseitige Änderung der Nordirland-Vereinbarung. Nach dem EU-Austritt mit der Wahl zwischen der schweizerischen Haltung der permanenten Suche nach erträglichen Kompromissen mit dem mächtigen Nachbarn und der Linie der permanenten Angriffe gegen die Europäische Union aus Ankara konfrontiert, seien die Briten "die neuen Türken" geworden, stellt das Londoner Weltblatt melancholisch fest. (Paul Lendvai, 23.3.2021)