In Wien sind die Intensivstationen wieder bummvoll. Die Zahl der Neuinfektionen in Österreich steigt – bis auf Vorarlberg – jeden Tag um noch einen Tick dramatischer an. Die ansteckenderen und aggressiveren Virusmutationen bestimmen längst das virologische Geschehen im Land, immer jüngere Menschen erkranken immer schwerer. Es ist längst keine Frage mehr: Wir sind gerade dabei, durch die dritte Welle zu tauchen, und hoffen, sie möglichst unbeschadet zu überstehen.

Der Statistiker Erich Neuwirth hält bis zu5000 Infektionsfälle am Ostersonntag für realistisch – wenn kein weiterer Lockdown passiert. Dennoch haben sich die Bundesregierung und ein Teil der Länder gegen den Rat der Experten gestemmt, Österreich erneut komplett in den Lockdown zu schicken. Die Politik plädierte für regional abgestimmte Maßnahmen. Für Virologen und Epidemiologen mag das riskant erscheinen. Es ist dennoch richtig – richtig gemacht.


Ein Zusperren des ganzen Landes funktioniert nicht mehr.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Die Pandemie ist längst nicht mehr "nur" ein virologisches Problem. Sie hat mittlerweile so viele Nöte und Mangelerscheinungen produziert, dass ein simples Zusperren des ganzen Landes nicht mehr funktioniert. Wir müssen nach einem Jahr Gesundheitskrise differenzierter mit dem Problem umgehen.

Keine zaghaften Öffnungsschritte

Natürlich haben alle recht, die sagen, dass die gern genutzte Argumentation zu kurz greift, dass ein Lockdown nichts nützt, wenn sich keiner dran hält. Das allein ist kein Argument für Lockerungen. Dennoch: Auf Dauer wird Österreichs starke Wirtschaft diese Schwächung ihres Immunsystems nicht durchhalten; auf Dauer können auch die Verlängerung der Kurzarbeit und Nothilfen nicht verhindern, dass immer mehr Menschen arbeitslos werden und Betriebe in die Pleite schlittern; auf noch längere Sicht wird die Bildungslücke, die diese Krise hinterlässt, gravierende Folgen zeitigen; und schließlich sind die psychischen Folgen noch gar nicht abzuschätzen. Dass die Kinder- und Jugendpsychiater seit Mitte Jänner Alarm wegen des schlechten Zustands ihrer Patientinnen und Patienten schlagen, lässt jedenfalls erahnen, was da noch auf uns zukommt.

In diesem Lichte lassen sich auch die jüngsten, realpolitisch natürlich höchst unklugen Reibereien innerhalb der SPÖ sehen. Dass der Burgenländer Hans Peter Doskozil seiner Parteichefin Pamela Rendi-Wagner wieder einmal öffentlich ausrichtet, sie sei halt eine gute Gesundheitsministerin (aber keine Oppositionsführerin), weil sie nur die medizinischen Auswirkungen sehe, ist zwar menschlich und politisch ärgerlich, aus seiner Landeshauptmann-Perspektive aber verständlich. Auch in der Wiener SPÖ knirscht es: Gesundheitsstadtrat Peter Hacker tritt für die Öffnung der Schanigärten ein, Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke ist dagegen. So absurd ist das nicht: Aus ökonomischer Sicht zahlen sich zaghafte Öffnungsschritte nicht aus – aus gesamtgesundheitlicher Perspektive aber sehr wohl. Gib den Wienern, Niederösterreichern, Burgenländern ihr Wirtshaus, und schon schaut die Welt freundlicher aus.

Regional abgestufte Maßnahmen brauchen aber vor allem: intensive Testungen bundesweit, strengste Kontrollen von Quarantänen – und viel besseres Monitoring von Mehrpersonenhaushalten mit positiven Fällen. Ach ja, und dann wären da noch die versprochenen fünf Selbsttests pro Monat für zu Hause. Das sollte dann auch endlich funktionieren. (Petra Stuiber, 22.3.2021)