Gut 30 Jahre ist es her, dass die EU das letzte Mal Sanktionen gegen Chinas kommunistisches Regime verhängt hat. Damals sind mitten in Peking Panzer gegen Studenten gerollt, die friedlich für mehr Demokratie demonstriert haben. Die genaue Zahl der Toten ist bis heute nicht bekannt, es waren wohl mehr als tausend. China war damals ein armes Land, dem man prinzipiell viel Potenzial zuschrieb. Aber ohne politischen Wandel, der sich damals im gesamten Ostblock abzeichnete, würde Peking sicherlich nicht zur Weltmacht des 21. Jahrhunderts werden, dachte man.

Nachdem sich der Sturm um das Tian’anmen-Massaker vom 5. Juni 1989 gelegt hatte, einigte man sich im Westen auf die Formel "Wandel durch Handel". Auf den wirtschaftlichen Aufschwung würden sicherlich auch bald politische Reformen folgen – ganz so, als sei in jedem iPhone oder Audi A8 auch ein kleines bisschen Demokratie versteckt.

Das mit dem Handel funktionierte blendend: Innerhalb von zwei Jahrzehnten wuchs das nur noch formell kommunistische China zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt heran. Der politische Wandel aber blieb aus – im Gegenteil. Seitdem Xi Jinping 2013 an die Macht kam, bewegt sich das Land mit immer größer werdenden Schritten rückwärts.

Zum ersten Mal seit 30 Jahren verhängt die EU Sanktionen gegen China.
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Xi schaffte seine eigene Amtszeitbeschränkung ab, räumte interne Kritiker aus dem Weg – und fällte bald den Entschluss, dass jegliche kulturelle Identität der Uiguren eine Bedrohung für die Partei sei. In der Folge begann der Parteisekretär für Xinjiang, Chen Quanguo, mit dem Aufbau des Lagersystems in der Westprovinz. Seine "Qualifikation" hatte er zuvor in Tibet gesammelt.

Gehirnwäsche

2018 deckten Recherchen des Aktivisten Adrian Zenz die Ausmaße des Lagersystems auf: Bis zu zwei Millionen Menschen werden von ihren Familien isoliert und in einem Gulagsystem einer Gehirnwäsche unterzogen. Uigurische Frauen werden zwangssterilisiert, Kinder von ihren Eltern getrennt, junge Männer und Frauen in chinesische Fabriken zwangsverschickt. Die Berichte sind zahlreich und trotz der Informations- und Kommunikationssperre, die Peking über die Provinz verhängt hat, gut belegt. Sie widerlegen die Theorie, wonach auf Handel auch politischer Wandel folgen würde, endgültig.

Es ist eine alte Leier, die nun Wirtschaftsvertreter wieder bemühen: Der Nutzen von Sanktionen sei gering, mit Druck erreiche man in Peking gar nichts, man müsse im Gespräch bleiben, nur so könne man etwas verändern. Nicht alles daran ist falsch – gerade über die Wirkung von Sanktionen kann man diskutieren. Führen sie wirklich zu etwas oder schaffen sie langfristig nur Anreize, dass sich die betroffenen Staaten vom westlichen Wirtschaftssystem abkoppeln?

Auch mit China im Gespräch zu bleiben ist richtig und wichtig. Nur der Glaube, Peking würde seinen totalitären Albtraum in Xinjiang beenden, wenn man höflich darum bitte, und bis dahin könne man ja weiter fleißig Geschäfte machen, der ist eine Illusion – und eine moralische Bankrotterklärung. (Philipp Mattheis, 24.3.2021)