Die knapp 50 Zentimeter lagen Keas zählen zu den Papageien und kommen ausschließlich in den Alpen Neuseelands vor.

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Die Fähigkeit, das Verhalten anderer nachzuahmen, ist eine Voraussetzung für die Weitergabe von Fertigkeiten und das Entstehen von Technik. Menschen sind Meister darin, sich Dinge abzuschauen, aber auch unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, und sogar Hunde schneiden in entsprechenden Tests nicht schlecht ab.

Ein kürzlich angelaufenes Forschungsprojekt, das vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert wird, untersucht erstmals die diesbezüglichen Fähigkeiten eines Vogels, nämlich des Keas.

Der Kea (Nestor notabilis) gehört zu den Papageien und kommt nur in den Neuseeländischen Alpen vor. Mit rund 50 Zentimeter Länge von Kopf bis Schwanz und bis zu einem Kilo Gewicht sind Keas die größten flugfähigen Vögel der Südinsel.

Bei ihrer Ernährung sind sie nicht wählerisch: Auf ihrem Speiseplan stehen mehr als hundert Pflanzenarten ebenso wie Insektenlarven, Nestlinge anderer Vögel oder Aas. Gleichzeitig sind sie stets offen für Neues: Als im 19. Jahrhundert große Mengen an Schafen nach Neuseeland gebracht wurden, verfielen manche Keas darauf, sich auf deren Rücken zu setzen und ihnen das Fell aufzureißen, um an das darunter liegende Fett zu kommen.

Infolgedessen wurde die Art erbittert verfolgt, ehe sie 1986 unter Schutz gestellt wurde. Heute gibt es nur noch geschätzte 2000 bis 5000 Keas in freier Natur.

Die fantastischen vier

Raoul Schwing vom Messerli-Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit den kognitiven Fähigkeiten der entdeckungsfreudigen Papageien. Dabei gelang ihm und seinen Mitarbeitern kürzlich eine kleine Sensation: Sie konnten in einem Experiment die erfolgreiche Zusammenarbeit von vier Tieren zeigen – das ist bisher noch nicht einmal bei Menschenaffen gelungen.

Herkömmliche Versuche zur Kooperationsfähigkeit von Tieren beschränken sich gewöhnlich auf zwei Probanden und deren Zusammenarbeit im "loose-string paradigm" (loses Schnur-Paradigma). Dabei wird ein Seil mittels Ösen so an einem Brett mit einer Belohnung befestigt, dass beide Tiere gleichzeitig an den Enden ziehen müssen, um das Tablett zu sich zu bewegen.

Zieht ein Tier alleine, rutscht die Schnur aus den Ösen und das Leckerli bleibt für beide unerreichbar. Wenn die Versuchstiere aufeinander warten, ehe sie ziehen, gilt das gemeinhin als Zeichen, dass sie die Notwendigkeit des Partners für die Aufgabe verstanden haben.

Zurückhaltung lernen

Die Keas haben mit diesem Versuchsansatz kein Problem: Schon mit minimalem Training können sie sich mit einem Partner koordinieren. Schwing und seine Gruppe erweiterten nun die Aufgabenstellung: Eine Holzkiste auf 40 Zentimeter langen Beinen enthielt einen Boden, der aus der Kiste gelöst werden konnte, wenn gleichzeitig vier an seinen Ecken eingehängte Ketten gezogen wurden.

Keas arbeiten gut im Team.
Foto: Messerli Forschungsinstitut

Auf dem Boden waren kleine Leckerbissen wie Apfelstücke verteilt, an die die Vögel nur dann herankamen, wenn jeder von ihnen zur selben Zeit an einer Kette zog, wobei allerdings auch permanentes Ziehen möglich war.

Was die Vögel dazu in erster Linie lernen mussten, war Zurückhaltung, denn sobald klar ist, dass ein Behälter Nahrung enthält, neigen dominante Tiere dazu, ihren Artgenossen den Zugang dazu zu verwehren. So auch in der Vorbereitungsphase zu dem Vier-Ketten-Problem, als noch nur zwei Ketten betätigt werden mussten: Nachdem alle Keas gelernt hatten, eine Futterbox mithilfe einer Kette allein zu öffnen, ging es an eine Variante, bei der zwei dafür nötig waren. Allerdings duldete Jo, das ranghöchste Männchen, niemanden in der Nähe der Kiste.

Aggressor bändigen

Um dieses Hindernis zu umschiffen, "fluteten" die Forscher die Testvoliere mit der ganzen, mehr als 20 Köpfe zählenden Kea-Gruppe. So viele Konkurrenten konnte Jo nicht gleichzeitig in Schach halten, und während er sich noch darum bemühte, schnappten sich zwei Artgenossen die Ketten und in der Folge die Belohnung. Ein paar Versuchsdurchläufe später beteiligte sich Jo erfolgreich am Öffnen der Box.

"Die dominanten Vögel verhalten sich auch nach hunderten Versuchen noch aggressiv gegenüber rangniedrigen", erklärt Schwing, "aber sie lernen, dass sie sich zurückhalten müssen, wenn sie an die Leckerbissen gelangen wollen."

Inwieweit die Vögel tatsächlich im engsten Sinne des Wortes zusammenarbeiten, das heißt, inwieweit sie ein Einsehen in ihre Tätigkeit haben, ist freilich ungeklärt, aber: "Bei der gemeinsamen Jagd von Wölfen, die als ein Musterbeispiel für Kooperation gilt, konnte kürzlich gezeigt werden, dass sie auch ohne solche Einsicht funktionieren kann", gibt Schwing zu bedenken, "und sogar beim Menschen ist nicht immer klar, wie viel Einblick jeder Teilnehmer in die Funktion seiner Aktivitäten im größeren Ganzen hat."

Bedienung per Schnabel

In einem erst vergangenen Sommer angelaufenen FWF-Projekt befasst sich Schwing mit einem weiteren zentralen Thema der Kognitionsforschung, nämlich der Motor-Imitation, also dem Nachahmen von Bewegungen oder von Interaktionen mit Objekten. Zu diesem Zweck lernen manche Keas diverse Handlungen, wie einen Futterbehälter auf eine bestimmte Art zu öffnen oder ein festgelegtes Muster von Sequenzen auf einem Touchscreen mit dem Schnabel anzutippen.

Dann wird erhoben, ob bis dahin "naive" Vögel diese Methoden beziehungsweise Bewegungen nachmachen. Dass die Demonstratoren dabei Artgenossen sind, ist außergewöhnlich, wie Schwing hervorhebt: "Meistens sind das Menschen, weil es viel schneller geht."

Zu guter Letzt lernen alle Keas, zwei Bewegungen zu imitieren, die keinem Zweck dienen, wie den Schnabel heben oder mit dem Flügel schlagen. Wenn all das sitzt, lernen nur die Demonstratoren zwei ganz neue, ebenso sinnlose Gesten, die sie später in zielführende Sequenzen einbauen sollen.

Damit will Schwings Gruppe überprüfen, ob Keas zur sogenannten Überimitation imstande sind, das heißt, zum Nachahmen von sinnlosen Aktionen. "Kleinkinder können das problemlos", wie Schwing erklärt, "und von Hunden kennt man das seit kurzem. Sonst ist es bis jetzt noch bei keiner Tierart nachgewiesen worden." Derzeit werden die Vögel aber erst für ihre zukünftigen Aufgaben trainiert. (Susanne Strnadl, 27.3.2021)