Wie lernt man eine Sprache am besten? Jedenfalls nicht vollkommen von anderen separiert, sagen Experten.

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Sie sind eines der Aushängeschilder der ÖVP im Bildungsbereich und haben als solches sogar den Wechsel zum grünen Regierungspartner überlebt. Sie wurden 2018 trotz einhelliger Kritik von Sprach- und Bildungswissenschaftern eingeführt, seither wird immer wieder an ihnen herumgetüftelt. Zuletzt hat der Logopäde Ali Dönmez, er ist außerdem Lehrer für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, eine Petition für ihre Abschaffung gestartet – mehr als 11.000 Lehrkräfte und Schulleitungen haben bisher diesem Anliegen zugestimmt.

Es geht um die Deutschförderklassen. Und darum, wie Kindern und Jugendlichen der Spracherwerb anscheinend wider besseres Wissen erschwert wird.

Kurzbeschreibung der umstrittenen Integrationsmaßnahme: Kinder unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und mit ganz unterschiedlichen Sprachkenntnissen werden in den sogenannten Deutschförderklassen zum separaten Unterricht zusammengefasst. In der Volksschule müssen 15 Wochenstunden außerhalb des Klassenverbandes verbracht werden, danach sind es sogar 20 Wochenstunden separater Deutschförderung. Mindestens acht Schülerinnen und Schüler braucht es, um eine Deutschförderklasse zu eröffnen, nach oben gibt es keine Grenze – eine Klassenschülerhöchstzahl gibt es nicht.

Türschilder basteln und betrügen

Was bisher nicht bekannt war: Eine Reihe von Schulleitungen in Wien leistet still und heimlich Widerstand gegen diese Separierung der Kinder. Obwohl sie auf offiziellen Dokumenten angeben, eine oder mehrere Deutschförderklassen an ihrem Standort eingerichtet zu haben, existieren diese in Wahrheit nicht. "Eigentlich kann ich wegen Betrugs belangt werden", formuliert es eine Schulleiterin. Ein Gesetzesbruch, den sie mittlerweile mit etwas Nachlässigkeit begeht: "Im zweiten Jahr, haben wir noch Türschilder gebastelt. Die wollten wir dann, falls eine Kontrolle kommt, rasch raushängen." Eine weitere Kollegin verfährt bis heute ähnlich: "Würde jetzt der Bildungsminister kommen, müsste ich meinen leeren Raum aufsperren und den Kolleginnen sagen: Bringts mir rasch 15 Kinder. Welche ist ja dann egal."

Die Schulleiterinnen sind überzeugt, den Kindern damit das Lernen der Sprache zu erleichtern. "Selbstverständlich" gäbe es zusätzliche Förderung für sie, allerdings im Klassenverband oder für einige Stunden auch in Kleingruppen. Eine Reihe weiterer Standorte in Wien handhabt das übrigens genauso. Zur Präzisierung: Gemeint sind damit nicht jene Schulen, die vom Bildungsminister eine Ausnahme erwirkt haben, weil sie über zu wenig Platz verfügen, um separate Deutschförderklassen einzurichten.

"Ausgegrenzt"

Dass sich der Unterricht unter den gesetzlich vorgegebenen Rahmenbedingungen schwierig gestaltet, ist für Hannes Schweiger nachvollziehbar. Welche Folgen das Herausnehmen der Kinder aus dem Klassenverband für ihre weitere Schullaufbahn und ihr soziales Wohlbefinden hat, beschreibt der Germanist der Uni Wien so: "Die Kinder verbessern zwar ihre Deutschkompetenzen, aber das fachliche Lernen kommt zu kurz, und sie verlieren mitunter ein Schuljahr oder mehr." Außerdem würden sich die Deutschförderklassen negativ auf das soziale Gefüge auswirken. Schweiger: "Kinder fühlen sich mitunter ausgegrenzt und haben zu wenig Kontakt zu ihrer Regelklasse."

Als Präsident des Verbands für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache weiß Schweiger: Im "idealen" System der Deutschförderung würden die Kinder in ihrer Stammklasse verbleiben, "aber sie bekommen zusätzliche Förderung". Darüber hinaus sollte es unterschiedliche Sprachfördermodelle für unterschiedliche Bedürfnisse geben. Wer neu im Land ist und von Grund auf Deutsch lernen muss, startet auf einem anderen Level als jemand, der in Österreich geboren ist, aber Schwierigkeiten mit der korrekten Anwendung der Sprache hat.

Bei der Bildungsdirektion Wien will man von den kreativen Umwegen der Direktorinnen und Direktoren nichts wissen. In einer E-Mail an den STANDARD heißt es, es "sind uns keine Schulen – außer jenen mit einer Sonderregelung aus räumlichen Gründen – bekannt, die entgegen der gesetzlichen Vorgabe keine Deutschförderklassen ordnungsgemäß durchführen." Man werde jedoch die Schulqualitätsmanager anhalten, die Regelungen vor Ort "erneut prüfen zu lassen. Auch im Bildungsministerium hört man von der Umgehung der bestehenden Regeln laut eigenem Bekunden zum ersten Mal. Man nehme diese Rückmeldungen aber "sehr ernst". Inhaltlich ändert sich nichts an der Bewertung der Deutschförderklassen: Diese sollten "die Kinder dabei unterstützen, bestmöglich Deutsch zu lernen".

"Pädagogisch völlig absurd"

Jene Direktorinnen und Direktoren, die diese Einschätzung nicht teilen, lässt man wissen: "Den Kindern diese Chance zu nehmen sehen wir äußerst kritisch." Eine Evaluierung der Deutschförderklassen steht dennoch vor dem Start.

Die Schulleiterinnen bleiben jedenfalls dabei: "Das ist pädagogisch völlig absurd. Von wem soll man bitte Deutsch lernen, wenn nicht von den Kindern, die Deutsch sprechen?" (Karin Riss, 23.3.2021)