Der Haussegen hängt schief zwischen China und der EU.

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Es war ein historischer Schritt, den die 27 Außenministerinnen und -minister der EU da am Montag gegangen sind. Erstmals seit 1989 verhängten sie wieder Sanktionen gegen China – wegen dessen Umgangs mit den Menschenrechten. Weil im Nordwesten des Landes, in der Region Xinjiang, Berichten zufolge bis zu drei Millionen Angehörige der uigurischen Minderheit in Lager gesperrt wurden, blockiert die Union ab sofort die Einreise sowie das Vermögen von vier hochrangigen KP-Kadern in der Region sowie die Besitztümer eines strategisch wichtigen Unternehmens, dem Beteiligung an der Unterdrückung der Uigurinnen und Uiguren vorgeworfen wird. Die USA unter ihrem neuen Präsidenten Joe Biden weiteten zeitgleich ihre schon im Vorjahr verhängten Sanktionen aus, Großbritannien und Kanada zogen mit – eine orchestrierte Aktion des Westens gegen Chinas Unterdrückungspolitik also.

Frage: Wer wurde da eigentlich genau von der EU mit Sanktionen belegt?

Antwort: Konkret betreffen die Strafmaßnahmen der EU vier Personen und eine Institution: Zhu Hailun, früher stellvertretender Vorsitzender des Volkskongresses der autonomen Region Xinjiang einerseits; den Polizeichef Chen Mingguo, dem "willkürliche Inhaftierung und entwürdigende Behandlung" von Uigurinnen und Uiguren vorgeworfen werden, andererseits. Weiters auf der Sanktionsliste stehen auch Mingshan Wang, Mitglied des Xinjiang-Ausschusses der Kommunistischen Partei, sowie Junzheng Wang, der oberste Politkommissar des "Xinjiang Produktions- und Aufbau-Korps". Gegen dieses Wirtschaftskonstrukt wurden zudem eigene Sanktionen beschlossen.

Frage: Was verbirgt sich hinter diesem Korps, das mit Sanktionen belegt wurde?

Antwort: Das Aufbau-Korps, auf Chinesisch Bingtuan, ist eine paramilitärische Organisation, die in den 1950er-Jahren von Mao Zedong geschaffen wurde, um Grenzregionen der Volksrepublik wirtschaftlich zu entwickeln und militärisch zu sichern. Die Bingtuan leiten die Internierungslager in der Region, außerdem organisieren sie die Ansiedlung von Han-Chinesen in der Provinz.

Frage: Was wirft man China in Bezug auf die Uigurinnen und Uiguren vor?

Antwort: Die EU-Außenminister begründen die neuen Sanktionen mit dem Vorwurf, Millionen Uiguren in der westchinesischen Region Xinjiang würden willkürlich in Lagern festgehalten. Berichte zeigen, dass sie dort ihrer Religion, ihrer Kultur und ihrer Sprache abschwören müssen – auch von Zwangsarbeit und Misshandlungen ist die Rede. Etwa zwölf Millionen Menschen in China zählen zu der muslimischen, turkstämmigen Minderheit, die auch in ihrer Heimatregion zunehmend von Han-Chinesen verdrängt werden. Durch die jahrelange Ansiedlung von Han-Chinesen in der Region stellen die Uiguren heute nur noch Hälfte der Einwohner an der westlichen Peripherie des Riesenreiches.

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Frage: Sind die Sanktionen letztlich einzig Symbolik, oder setzen sie das Regime tatsächlich unter Druck?

Antwort: Die Maßnahmen sind eher symbolischer Natur. Die Vermögen innerhalb der EU der betroffenen Personen wurden eingefroren und gegen sie ein Einreiseverbot verhängt. Dass die Sanktionierten ein Bankkonto innerhalb der EU besitzen oder eine Europareise geplant haben, gilt als eher unwahrscheinlich. Trotzdem setzen sie ein symbolisches, aber starkes Zeichen. Zum ersten Mal seit dem Tian’anmen-Massaker 1989 gibt es eine gemeinsame Reaktion der EU auf die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen des Regimes in Peking.

Frage: Wie sind die chinesischen Gegensanktionen einzuschätzen – und kommt da womöglich noch mehr?

Antwort: Die chinesischen Gegensanktionen sind schärfer als jene der EU. Sie beziehen sich auf Mitglieder des EU-Parlaments und deren Familienmitglieder. Betroffen ist unter anderem das Mercator Institute for China Studies (Berlin), eine der wichtigsten Denkfabriken Europas zum Thema China. Deren Arbeit wird durch die Sanktionen eingeschränkt. Am Dienstag wurde zudem ein Treffen zur Besprechung des geplanten Handelsabkommens "EU-China Comprehensive Agreement on Investment" (CAI) von chinesischer Seite abgesagt.

Frage: Was wirft Peking den EU-Abgeordneten konkret vor?

Antwort: Den EU-Abgeordneten sowie dem Aktivisten und Forscher Adrian Zenz wirft Peking das Verbreiten von Falschinformationen vor. Die Führung in Peking hatte die Existenz von Internierungslagern zunächst lange geleugnet, später dann von "Ausbildungszentren" gesprochen, in denen ansonsten kaum qualifizierte Uigurinnen und Uiguren mittels Bildung vor der Gefahr des Jihadismus bewahrt würden. Die technologisch ausgefeilte Überwachung der uigurischen Muslime diene einzig dem Schutz vor Terrorismus.

Frage: Wie verhalten sich die USA aktuell gegenüber China?

Antwort: Zeitgleich mit der EU verhängten auch die USA sowie Großbritannien und Kanada aufeinander abgestimmte Sanktionen gegen die chinesischen Beamten wegen der Behandlung der uigurischen Minderheit. US-Außenminister Antony Blinken erklärte bei seinem Antrittsbesuch bei der Nato in Brüssel, China betreibe weiterhin "Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" in Xinjiang. Die Regierungen in London und Ottawa führen "überwältigende" Beweise ins Treffen, die Peking der "repressiven Politik" und der Misshandlung der Minderheit überführten, heißt es. (Florian Niederndorfer, Philipp Mattheis, 23.3.2021)