Kritik kommt unter anderem von Deutschlands Europastaatssekretär Michael Roth (SPD).

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Im Streit um eine Korrektur der Schieflage bei der Verteilung von Corona-Impfstoff auf die EU-Mitgliedsstaaten verschärfte Deutschland die Tonlage gegen Österreich. "Ich kann mich über diese Diskussion nur wundern", sagte Europastaatssekretär Michael Roth (SPD) Dienstag am Rande des EU-Ministerrates.

Er sei "überrascht", wenn der Eindruck mangelnder Solidarität entstanden sei. Roth spielte damit auf die Forderung von Bundeskanzler Sebastian Kurz an, wonach es einen "Korrekturmechanismus" geben müsse, weil die Aufteilung der Impfstoffe bei einem "EU-Basar" im Lenkungsausschuss der Staaten den Sinn der Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs ins Gegenteil verkehrt hätte. Nach Kurz' Lesart hätten alle Staaten zur gleichen Zeit so viele Impfdosen erhalten müssen, wie das dem Bevölkerungsanteil entspricht, egal was sie kaufen, im Falle Österreichs zwei Prozent.

"Konstruierter" Konflikt

Wie berichtet, haben einige Länder das ihnen zustehende Kontingent mäßig ausgenützt, voran Bulgarien, Lettland, beim Impfstoff von Johnson & Johnson auch Österreich. Andere Staaten, Malta, Dänemark oder Deutschland, kauften große "Restmengen" zu, sind bei den Impfraten an der Spitze. Roth lehnt eine Korrektur ab: Alle Staaten hätten ihre Kontingente ausschöpfen können. "Daraus jetzt einen Konflikt zu konstruieren, der der Heilung bedarf", sehe er nicht.

Noch härter Peter Liese, Gesundheitssprecher der Europäischen Volkspartei (EVP): Kurz trete "unzulässigerweise als Ankläger auf, er ist ein Bittsteller". Schuld an unterschiedlichen Liefermengen seien "Fehlentscheidungen einiger Staaten". Er, Liese, "kann der Bevölkerung in Deutschland nicht vermitteln", dass Länder, die auf den Impfstoff von Biontech gesetzt haben, "jetzt leiden", weil andere auf den von Astra Zeneca gesetzt haben.

Sprich: Deutschland will nicht groß auf Impfstoff verzichten, findet sich damit in einer Gruppe mit Dänemark, Malta und den Niederlanden, die nach Zukäufen nicht abgerufener Dosen beim Verimpfen auch großen Vorsprung haben.

Kommission hinter Kurz

Ob dies so bleibt, war Dienstag bei Dauergesprächen im Ausschuss schwer abzusehen. Viele andere Staaten sprachen sich dafür aus, den Korrekturmechanismus großzügig anzuwenden – vor allem für Nachzügler wie Bulgarien, Lettland, Slowenien, Kroatien und Tschechien. Diese und andere Osteuropäer unterstützen Kurz’ Position, die EU-Kommission und deren Präsidentin Ursula von der Leyen ebenso.

Sie hat ein Sonderkontingent von zehn Millionen Impfdosen mit Biontech für einen "Korrekturmechanismus" ausgehandelt, das im zweiten Quartal ausgeliefert werden könnte, wenn es einstimmig beschlossen wird. "In der Sache hat der österreichische Kanzler recht", heißt es in der Kommission, die sich um Vermittlung bemüht.

Von der Leyen will, dass alle Länder das EU-Ziel, bis 30. Juni 70 Prozent ihrer Bürger zu impfen, erreichen. Sollte man sich auf Beamtenebene nicht einigen, wird der EU-Gipfel am Donnerstag entscheiden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist für eine Korrektur. Bei einem Kompromiss könnte Österreich mit 200.000 bis 400.000 Impfdosen als Korrekturmenge rechnen. (Thomas Mayer, 23.3.2021)