Christoph Baumgartner strapaziert eine Floskel, die in ihrer Schlichtheit fast epochal ist. "Ich schaue von Spiel zu Spiel. Besonders in dieser schwierigen Phase." Schwierig ist die Pandemie, an die sich auch Fußballer gewöhnen mussten. "Corona ist zu einer mühsamen Normalität geworden." Die leeren Stadien sind ein Gräuel, es fehlt der Jubel der Fans, in seinem Fall jener der TSG Hoffenheim. "Wenn du ein Tor schießt, ist es auch im Training oder in einem Geisterspiel schön, aber es ist doch ganz anders."

Ein Mann mit Ballkontrolle: Christoph Baumgartner.
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Der 21-Jährige hat ein Rezept gefunden, um trotzdem Leistung zu bringen. "Ich besinne mich auf das, was tatsächlich auf dem Platz passiert, was ich beeinflussen kann. Auf meine Stärken." Irgendwann werde die Normalität zurückkommen, möglicherweise habe dann Corona den Fußball nachhaltig verändert. "Es gibt heute schon einen Wandel hinsichtlich der Transfersummen und Gehälter. Das ist gar nicht so schlecht. Für den Fan war es nicht mehr greifbar, wenn 200 Millionen Euro Ablöse gezahlt werden. Wie es in zehn Jahren ausschaut, ist schwer zu sagen."

Rückblick ins Jahr 2005. Der sechsjährige Christoph kickt weitaus besser als alle anderen Buben in Horn und Umgebung. Auch die Neunjährigen kommen nicht wirklich mit, sein Talent ließ sich nicht verbergen. Heute sagt er: "Ich trage wohl das Straßenfußballer-Gen in mir." Die Straßen waren in seinem Fall Gärten, die Betonkäfige standen in Wien, sie sind romantische Vergangenheit. Christophs Bruder Dominik (er verteidigt gegenwärtig für den Wolfsberger AC) ist drei Jahre älter, robuster. "Da rennt man als kleiner Bub mit, du musstest dich gegen die Größeren wehren. Ich habe versucht, mit technischen Lösungen das körperliche Manko auszugleichen." Es sollte gelingen.

Kein Korsett

Den Eltern ist die Hochbegabung sofort aufgefallen. "Ich wurde nicht gedrängt, sie haben mir nur gezeigt, was möglich ist. Sie haben mich begleitet und unterstützt." 2012 wechselte er vom SV Horn in die Akademie nach St. Pölten. Baumgartner genießt eine perfekte Ausbildung, wird in kein Korsett gezwängt, darf Fußball ausleben. Sein Werdegang erinnert an jenen von David Alaba. Mit 17 übersiedelte er in die Akademie nach Hoffenheim. "Da gehörte definitiv Mut dazu." Andere in seinem Alter versuchten in der österreichischen Bundesliga fußzufassen, Christoph Baumgartner wählte einen anderen Weg. "Da haben einige gesagt, der angebliche Superspieler ist immer noch im Nachwuchs. Mittlerweile habe ich jene, die damals vermeintlich vor mir waren, überholt."

Hoffenheim gab Baumgartner Zeit. "Ich wurde Schritt für Schritt ans Profigeschäft herangeführt, konnte mich körperlich und als Person entwickeln, das war entscheidend." 2019 wurde er in die Kampfmannschaft befördert. Mittlerweile ist er in eine Führungsrolle reingewachsen. Zwischenbilanz in der Bundesliga: 53 Einsätze, zwölf Tore.

Der Niederösterreicher entwickelt sich zur Schlüsselkraft im Nationalteam.
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Baumgartner definiert Erfolg so: "Wenn du dir Ziele setzt, die du erreichst und die dich glücklich machen, passt es. Ziele müssen hoch, aber greifbar sein. Das höchste Ziel ist, irgendwann die Champions League zu gewinnen. Es ist für mich noch sehr weit weg, aber nicht gänzlich auszuschließen." Sein Lebensmotto: "Arbeite hart und ruhig und lasse Erfolg den Wirbel machen." Als Vorbilder nennt er Lionel Messi, Kevin De Bruyne und auch Alaba, wobei er sich nicht mit ihnen auf eine Stufe stellt. In den sozialen Medien ist er aktiv. "Ich kommuniziere mit den Fans. Ich poste aber keine Videos über Zusatzeinheiten, nur damit man sieht, wie toll ich arbeite. Das mache ich für mich, für meinen Klub."

Kaffeemaschine

Die Freizeit verbringt er mit Freundin und Hund, man genießt die Natur, die auch in und um Hoffenheim vorhanden ist. Baumgartner hat eine Espressomaschine gekauft, wenn man sich mit ihr beschäftige, zaubere sie, hieve den Kaffee in höhere Sphären.

Anfang März hat er den Vertrag in Hoffenheim bis 2025 verlängert. Obwohl absolute Topklubs Interesse bekundet haben sollen. Baumgartners Marktwert wird mit 25 Millionen beziffert. "Hoffenheim ist das Beste für mich, es war eine Entscheidung für meine Entwicklung. Ich fühle mich hier pudelwohl, kann zunehmend Verantwortung übernehmen. Es geht ‚step by step‘. Wenn ich das Gefühl habe, ich brauche den nächsten Schritt, wird er passieren." Trainer Sebastian Hoeneß stimmt ein Loblied an. "Christoph ist ein hochtalentierter und intelligenter Fußballer mit großem Ehrgeiz. Sein Spielwitz, sein Gefühl für Räume, seine Torgefahr sind schon jetzt außergewöhnlich."

Jetzt aber ist WM-Qualifikation. Am Donnerstag spielt Österreich in Glasgow gegen Schottland, danach wird in Wien gegen die Färöer (28. März) und gegen Dänemark (31. März) fortgesetzt. Baumgartner, der im September 2020 in Norwegen (2:1) debütierte und nun bei fünf Einsätzen und zwei Toren hält, ist optimistisch. "Unsere Qualität ist extrem hoch. Schauen wir die Einzelspieler an. Sie spielen bei den deutschen Bundesligisten nicht nur mit, sie sind häufig Leistungsträger."

Sollte bei Christoph Baumgartner die theoretische Fee vorbeischauen und ihm drei Wünsche anbieten, würde er erstens sagen: "Gesundheit für meine Familie, Freunde und mich." Zweitens: "Sie soll die Pandemie wegzaubern." Auf den dritten Wunsch würde er verzichten. "Den kann jemand haben, der ihn dringender braucht." (Christian Hackl, 24.3.2021)