Wie die vierte Phase einer Impfstoffstudie abläuft, ist unterschiedlich geregelt. Impfstoffexperte Krammer plädiert für Aufklärung und eine transparente Debatte über seltene Nebenwirkungen und die Risikoabwägung.

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Es gibt wohl kaum jemanden, der sich gern eine lange Nadel in den Oberarm stechen lässt. Vielleicht liegt es also schon bloß an der Darreichungsform der meisten Impfungen, dass viele Menschen größere Vorbehalte gegenüber Impfungen haben als gegenüber anderen Arzneimitteln. Hinzu kommt, dass vor allem Gesunde geimpft werden, die meisten Medikamente hingegen im Krankheitsfall eingenommen werden. So sind die Sicherheitsbedenken vor allem bei neuen Impfungen besonders ausgeprägt, das Auftreten noch unbekannter Nebenwirkungen führt zu Verunsicherung.

Das Bekanntwerden gehäufter Fälle von Hirnvenenthrombosen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff in Deutschland ist von großer Aufmerksamkeit in den traditionellen und sozialen Medien und von einigen politischen Paukenschlägen begleitet worden. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass das, was hier vor sich geht, nichts anderes als business as usual ist, wenn es um die Zulassung eines neuen Arzneimittels geht.

Lebendes Dokument

"Die Gebrauchsinformation ist ein lebendes Dokument, das nicht mit der Zulassung abgeschlossen ist", sagt die Impfstoffexpertin Christina Nicolodi. Auch in den nächsten Monaten werden die Behörden immer wieder Zwischenfälle, die in einem zeitlichen Zusammenhang zu Covid-19-Schutzimpfungen stehen, bewerten müssen. Allenfalls werden weitere Nebenwirkungen in die Beipacktexte der unterschiedlichen Impfstoffe aufgenommen müssen. Willkommen in der Phase 4 der klinischen Studien!

In Phase-1-Studien wird die Sicherheit und Verträglichkeit eines Arzneimittels an etwa zehn bis 100 Personen getestet. In Phase 2 finden die ersten Anwendungen an Patienten statt, um den therapeutischen Effekt zu untersuchen und die richtige Dosis zu finden. Typischerweise werden Dutzende bis mehrere Hundert Patienten herangezogen. Phase-3-Studien erbringen den Wirkungsnachweis dann mit hunderten bis tausenden Patienten. Häufig auftretende Nebenwirkungen würden in dieser Phase auffallen. Gibt es keine, kann die Zulassung erfolgen.

Engmaschige Überprüfung

Nach der Zulassung wird der Einsatz von Arzneimitteln weiterhin systemisch überwacht – diese Überwachung wird als Phase-4-Studie bezeichnet. Sehr selten auftretende Nebenwirkungen, die beispielsweise nur bei Einzelnen unter einer Million Geimpften auftreten, können erst in dieser Phase systematisch aufgedeckt werden.

Wenn in der jetzigen Phase, bei der die Covid-19-Impfstoffe erstmals an Millionen Menschen verabreicht werden, seltene Nebenwirkungen wie schwere allergische Reaktionen bei den mRNA-Impfstoffen von Pfizer (durchschnittlich elf schwere allergische Reaktionen pro einer Million Geimpfter) und Moderna (2,5 Fälle pro eine Million) oder Hirnvenenthrombosen bei Astra-Zeneca-Vakzine gefunden werden, mag das zwar beunruhigen. Im Prinzip zeigt es aber, dass das engmaschige Überwachungssystem funktioniert.

Monitoring-Kampagne

"Es wäre wichtig, eine Informationskampagne zu starten", um zu erklären, "wie das Monitoring funktioniert", sagt Florian Krammer, Professor für Impfstoffkunde an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York und Mitglied des STANDARD-Corona-Fachrats. "Wir hatten in den vergangenen 15 Monaten eine sehr breite Debatte über Impfstoffe, und viele Leute verstehen vieles dabei sehr gut. Wir sollten jetzt eine breite Debatte über seltene schwere Impfreaktionen führen, wie sie erfasst werden, welche Risikoabwägung dabei angestellt wird und auch, was man dabei vielleicht besser machen könnte."

Wie genau die vierte Phase abläuft, ist nicht überall gleich organisiert. In den USA ist beispielsweise die Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA dafür zuständig, in Deutschland erhebt und bewertet das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (Paul-Ehrlich-Institut) mögliche Nebenwirkungen von Arzneimitteln. In Österreich ist damit das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) betraut.

Meldesystem für Nebenwirkungen

Ärzte oder Patienten können in Österreich online beim BASG Nebenwirkungen aller Art einmelden. Es liegt dann an der Behörde, zwischen harmlosen Impfreaktionen und möglicherweise gefährlichen Nebenwirkungen zu unterscheiden und Letzteren nachzugehen. Beides ist für die Geimpften unangenehm, doch während Impfreaktionen oft bereits Stunden nach der Impfung auftreten und spätestens nach Tagen wieder vergehen und insgesamt völlig harmlos sind, können seltene Nebenwirkungen auch erst Tage nach der Impfung auftreten und mitunter schwerwiegende Folgen haben.

Die vorübergehenden, wenn auch lästigen Impfreaktionen der bisher in Europa zugelassenen Covid-19-Schutzimpfungen sind, bedingt durch den Impfstofftyp, durchwegs heftiger, als man sie etwa von der FSME-Impfung kennt. Sowohl mRNA- als auch Vektorimpfstoffe sind bekannt für häufige und teilweise heftige Impfreaktionen wie Fieber, Schüttelfrost oder starke Kopfschmerzen.

Ungelöste Frage

Warum die Impfreaktionen bei mRNA-Impfstoffen erst bei der zweiten Teilimpfung auftreten, bei Vektorimpfstoffen wie jenem von Astra Zeneca bereits bei der ersten, ist laut Krammer noch nicht vollständig geklärt. "Es kann sein, dass bei Vektorimpfstoffen Antikörper gegen den Vektor gebildet werden und bei der zweiten Impfung nicht mehr so viele Vektorviren in unsere Zellen eindringen können und die Impfreaktion dadurch abgeschwächt wird."

Für die Zukunft nach der Pandemie sieht Krammer noch Möglichkeiten, die Impfstoffe weiter zu optimieren, damit die Wirksamkeit zwar nicht beeinträchtigt wird, aber die Impfreaktionen gelinder ausfallen. Bei den mRNA-Impfstoffen könnte man etwa die Zusammensetzung der eingesetzten Fettpartikel verändern. "Wenn man 15 Jahre Zeit gehabt hätte, hätte man vielleicht einen Impfstoff gefunden, der wirksam ist, aber kaum Reaktionen hervorruft. Aber diese Zeit hatten wir jetzt nicht. Die Impfstoffe sind sicher und schützen, aber sie verursachen Impfreaktionen, die zwar ungefährlich, aber teilweise unangenehm sind", sagt Krammer. (Tanja Traxler, 24.3.2021)