Der große Franz Josef Strauß, Ikone des konservativen Lagers, prägte einst den Begriff der "Gehirnprothesenträger". Heute, Jahrzehnte später, beschleicht einen manchmal in Momenten der isolierten Frustration das Gefühl, dass eben jene möglicherweise durchaus in manchen nicht irrelevanten Bereichen unserer Gesellschaft eine unbewusste Existenz fristen. Spaß beiseite, wir leben in schwierigen Zeiten und diese erfordern wohldurchdachte Maßnahmen und hoffentlich die klügsten und erfahrensten Köpfe. Jedoch hat man in letzter Zeit vermehrt den Eindruck, dass möglicherweise es nicht immer die Besten der Besten in Ämter und Funktionen mit dementsprechender Verantwortung für die Gemeinschaft schaffen. Doch was ist die Ursache hinter der beschriebenen gesellschaftlichen Krankheit?

Bayerischer Rundfunk

Die Herrschaft der Mittelmäßigkeit

Nehmen wir uns als Fallbeispiel den durchaus umstrittenen CSU-Politiker Strauß her und vergleichen wir ihn mit einer konservativen Zukunftshoffnung des 21. Jahrhunderts, Sebastian Kurz. Welcher ist einer der signifikanten Unterschiede zwischen beiden Persönlichkeiten? Es ist die Reife und Lebenserfahrung. Strauß hat den Zweiten Weltkrieg erlebt und erlitt schwere Erfrierungen an der Ostfront. Bei einem Treffen mit Michail Gorbatschow in Moskau, antwortete der einstige Ministerpräsident von Bayern auf Gorbatschows Frage, ob er das erste Mal in der Sowjetunion sei, dass es das zweite Mal wäre, denn beim ersten Mal kam er nur bis Stalingrad. Eine Aussage, die Rückschluss auf einen Persönlichkeitstypus gibt, der nur schwer mit dem ÖVPler 4.0 Kurz vergleichbar ist. Der Bundeskanzler von Österreich kämpft anstatt in Stalingrad gegen das Coronavirus und zunehmend schlechter werdende Beliebtheitswerte.

Gute Problemlöser und Repräsentanten persönlicher Exzellenz zeichnen drei psychometrisch durchaus erfassbare Kernmerkmale aus: Intelligenz, emotionale Stabilität und soziale Kompetenz. Die beschriebene CSU Legende gilt unter vielen Kritikern als gefestigte Persönlichkeit mit sozial-kommunikativen Fähigkeiten und entsprechender Auffassungsgabe. Der Realitätstest für den türkisen Parteichef steht noch bevor. Zunehmend hat man aber den Eindruck, dass hinter einer schönen Fassade in Österreichs Innenpolitik und Teilen der Wirtschaft die Mediokratie, frei nach dem Schriftsteller und Systemkritiker Alexander Solschenizyn, herrscht. Gewissermaßen ein “Archipel Medioker“.

Kurz macht eine Politik der Fassaden.
Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir

Die Auswahl der mediokren brav-biederen Faktenreproduzierer auf Mittelschulniveau rächt sich nun bitter in einer Situation, wo es um eine differenzierte Entwicklung geht. Bis dato hat es in der Politik und leider oft auch im staatsnahen Wirtschaftsbereich gereicht sich anzupassen und scheinbar Kluges nachzusprechen, ohne sich dessen Bedeutung bewusst zu sein. Hier wären wir bei den berühmten Strauß'schen “Gehirnprothesenträgern“. Selber denken ist sogar gefährlich, denn es wird in unserem Bildungssystem nicht mit sicherer Wahrscheinlichkeit mit einem Einser belohnt. So kommen wir zur heutigen Personalauswahl und deren Auswirkungen, die wir noch lange spüren werden. Das Phänomen einer zurückgetretenen Ministerin stellt hier keine Ausnahme der bildungspolitischen Regel dar, sondern vielmehr ein Abbild unserer Entwicklungs- und Bildungskultur. Überschriften und Titel sammeln, die gut klingen und im Strom der sozialen Erwünschtheit mitschwimmen, ist der konditionierte Weg zum Erfolg. Hauptsache ja nicht anecken. Daher verordnen wir uns eine Diät der mentalen Fastfoodkultur. Diese könnte gerade in Zeiten von Corona zu neuen Lösungen fernab von zerebralen Lockdowns und intellektuellen Inzidenzen führen. (Daniel Witzeling, 1.4.2021)

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