Viele der Lebensmittel, die im Mistkübel landen, sind ess- und verwertbar.

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Saftige Orangen, frisch aus dem Müllcontainer: Gernot beim Dumpstern.

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Wien – Gernot geht mit vollen Kisten nach Hause. Sie sind sind prall gefüllt mit Obst und Gemüse. Die Lebensmittel stammen aus dem Müllcontainer eines Supermarktes. "Die Orangen sind super beinander, der Salat einwandfrei. Knackfrisch", sagt er. Gernot ist ein Dumpsterer, er rettet verwertbare Lebensmittel, die sonst weggeschmissen werden. "Es ist immer gleich viel drinnen, weniger wird es nicht", sagt Gernot zu Alfred Schwarzenberger im ORF-"Schauplatz". Schwarzenberger zeigt in seiner Reportage "Essen ohne Wert" – zu sehen am Donnerstag um 21.05 Uhr in ORF 2 –, warum so viele Nahrungsmittel im Mistkübel landen, und vor allem, welche Konsequenzen das für uns alle hat.

Konsequenzen zeigen

Schon vor zwei Jahren hat Schwarzenberger für den ORF-"Schauplatz" recherchiert, warum zwei Drittel des in Österreich produzierten Gemüses im Müll landen. "Damals blieb keine Sendezeit mehr, um auch die Konsequenzen dieses Verhaltens zu beleuchten. Und die sind dramatisch", sagt er dem STANDARD. "Ein wesentlicher Punkt dabei ist die unnötige Belastung der Böden, ihre Fruchtbarkeit nimmt stetig ab. Dies führt zu vermehrtem Einsatz verschiedener Chemikalien, die wiederum zerstören die Kleinstlebewesen im Humus, schaden Insekten und machen unser Gemüse weniger gesund." Die unnötige Überproduktion setze eine für Mensch und Umwelt schädliche Kettenreaktion in Gang. "Jedes Verhalten hat Konsequenzen, so auch die Lebensmittelverschwendung. Diese Konsequenzen wollte ich zeigen."

Auch der Arzt und Biologe Martin Grassberger warnt im "Schauplatz" vor den gesundheitlichen Konsequenzen von Lebensmittelverschwendung. "Viele Krankheitsbilder wie etwa Diabetes oder Demenzerkrankungen stehen in einem direkten Zusammenhang mit dem Verschwinden der Bakterien in unseren Böden", sagt der Autor von "Das leise Sterben", sein Buch wurde 2020 zum "Wissenschaftsbuch des Jahres" gekürt.

Instagram-taugliche Karotten

Nur ein Drittel aller heimischen Karotten komme auf den Teller, zwei von drei Karotten landen im Mistkübel, rechnet ein Bauer aus dem Marchfeld vor. Man arbeite sehr viel umsonst. "Lebensmittel haben nicht mehr den Stellenwert, den sie noch vor 50 Jahren gehabt haben." Aussortiert wird, weil das Gemüse nicht schön genug sei. "Karotten ohne Bikinifigur" hätten keine Chance, auf dem Teller zu landen. Sie müssten "eine schöne, gerade Form haben" und "Instagram-tauglich" sein, erzählt der Vertreter eines Vertriebsunternehmens.

"Es braucht eine Änderung des Systems", sagt Johann Ackerl, Chef eines Gemüsevertriebs, mit Blick auf hunderte Tonnen Süßkartoffeln, die im Müll landen. Sie entsprechen nicht den heimischen Vermarktungskriterien der Lebensmitteilhändler, manche von ihnen sind zu groß, andere zu klein.

Von allem zu viel

Mehr als 200.000 Tonnen werden Jahr für Jahr in heimischen Haushalten weggeworfen, das entspreche einem Wert von jährlich 263 Euro pro Haushalt. "Dass wir mit vollen Bäuchen schlafen gehen und zum Frühstück schon wieder ordentlich schlemmen können, ist in unserem Weltenkreis die normalste Sache der Welt", so Schwarzenberger. "Wir haben schlicht aus den Augen verloren, dass Lebensmittel ein kostbares Gut sind. Wir haben von allem zu viel, dies gilt auch für Kleidung oder elektronische Geräte. Wir haben eine gewisse Freude am Überfluss."

Kleinere Kühlschränke

Mehr, als immer wieder darauf aufmerksam zu machen, werde man wohl nicht tun können, um hier Bewusstsein bei Konsumentinnen und Kunden zu schaffen, sagt er. "Mit künstlicher Verknappung von Lebensmitteln hätte keiner seine Freude, auch nicht mit Rationierung oder Verteuerung. Vielleicht sollte damit begonnen werden, wieder nur mehr kleine Kühlschränke zu bauen. Denn der Großteil der Lebensmittelverschwendung findet in den Haushalten statt."

Profit mit Überfluss

Was müsste auch vonseiten des Gesetzgebers passieren, damit weniger Lebensmittel im Müll landen? "Selbstverständlich liegt die Verantwortung bei jenen, die die Spielregeln machen, und nicht bei jenen, die sich daran halten oder sie nutzen. An die Konsumenten den schwarzen Peter zu verteilen ist zu kurz gegriffen", sagt Schwarzenberger. "An den Corona-Maßnahmen sieht man, dass die Politik über Nacht drastisch eingreifen kann. Warum also nicht an so etwas Einfachem schrauben wie etwa den Vermarktungskriterien für Gemüse?"

Kaum ein Konsument würde den Unterschied zwischen einer Karotte "Extraklasse" und "Klasse eins" erkennen. Das würde aber schon viel Lebensmittelmüll verhindern. "Es gibt einige solcher Punkte. Aber es wird eben mit Überfluss auch Geld verdient. Womit wir bei einem grundsätzlichen Problem unserer Gesellschaft gelandet sind." (Astrid Ebenführer, 25.3.2021)