Kombucha-Brille oder alternative Gurkenmaske? Julia Müllner auf Du und Du mit zur Kunst gediehenen Mikroorganismen – plus Essigaroma!

Foto: Dora Denerak Galyas

Der menschliche Körper und seine Umwelt sind fantastische Siedlungsgebiete für Mikroorganismen. Obwohl diese Kleinstlebewesen nur unter dem Mikroskop erkennbar sind, können sie doch sichtbare Dinge hervorbringen, die wie kleine Wunder wirken.

Längst haben Künstlerinnen wie etwa Sonja Bäumel, die mit ihren Installationen und Performances – beispielsweise microbial entanglement überzeugt (2019 in Kooperation mit Doris Uhlich) – diese Mirakel für sich entdeckt. Auch die junge österreichische Choreografin Julia Müllner ist fasziniert von der Mikrowelt des Lebens. Für das aktuell online stattfindende Festival Imagetanz des Brut-Theaters hat sie ein Tanzvideo produziert, in dem sich dieses so omnipräsente Reich als poetischer Raum erschließt: gathering bacteria in my carrier bag.

Dafür hat sie sich mit der Videokünstlerin Camilla Soave, der Musikerin Christa Wall und dem Kostümdesigner Attila Lajos zu einem Team zusammengeschlossen, das die Potenziale des avancierten Tanzes von heute präzise auf den Punkt bringt: Choreografie, Video und Bild gehen in dieser Arbeit eine gelungene Symbiose mit Sound, Stimme und Text ein. Und um den Rahmen, wie ihn Müllner vorgibt, richtig ausschöpfen zu können, kann sich das Publikum auf der Webseite des Brut-Theaters erst einmal das dazugehörende Booklet bestellen.

Performance mit Pilzbefall

Als künstlerisches Basismaterial dient Müllner der Kombucha, eine "Gemeinschaft" verschiedener Hefepilze, die es als Lifestyle-Getränk zu Prominenz gebracht hat. Bei gathering bacteria in my carrier bag lernt das Publikum die mannigfache Anwendbarkeit der gallertigen Wucherungen des in Tee angesetzten und gefärbten Kombucha kennen. In der nachzuholenden Live-Performance wird als zusätzlicher Sinneseindruck auch das Essigaroma der sich vermehrenden Pilze dazukommen.

Knapp über fünfzehn Minuten lang lassen Müllner, Wall und Soave ihre Zuseherinnen und Zuseher in ein kleines "Phantásien" aus Mikrobenverbänden, Flüssigkeiten, Bläschen, Klangräumen, Flüstern, körperlichen Regungen, Stoffen und Farben eintauchen. Dieses ist so dicht und vielschichtig komponiert, dass es sich bei nochmaligem Ansehen (bis 30. Juni möglich) immer wieder ganz anders darzustellen scheint.

Nichtwestlicher Spin

Das ist auch bei dem Video Around L-Inked des aus Neu-Delhi stammenden Tänzers Jaskaran Anand der Fall. Dieser eher dokumentarisch gemeinten Arbeit liegt ebenfalls eine pandemiebedingt verschobene Live-Performance zugrunde. Weil Anand mit dem Computer genauso gut umgehen kann wie mit seinem Körper, hat er seine Vision für das Stück in übereinandergelegten Videos produziert.

Zwei Wermutstropfen: Jaskaran Anands gut gemeintes Meditations-Intro wirkt aufdringlich didaktisch, und das datenschwere Video (zu sehen bis 7. April) bleibt beim Abspielen immer wieder hängen.

Abgesehen davon aber übermittelt es eine bemerkenswerte Leistung. Denn der Künstler schafft es, dem Thema der sexuellen Identität und Genderfluidität samt dazugehörendem Diskurstanz einen ganz eigenen, nichtwestlichen Spin zu geben. Dadurch gewinnt die in jüngster Zeit doch eher zum stereotypen Pflichtritual gerinnende Geschlechterspiel-Ästhetik nach US-amerikanischen Mustern einen frischen Nachfolger. (Helmut Ploebst, 25.3.2021)