Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hat ein Problemkind: das BVT.

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"Du musst demütig sein", "Du musst dankbar sein"; mit solchen "Bibelzitaten" soll ein einstiger Abteilungsleiter laut Vorwürfen seiner Kollegen im Verfassungsschutz "fast jedes" Vieraugengespräch begonnen haben. Mitarbeiterinnen sollten ihre Schultern "bedecken", die "Jungfräulichkeit" sei das höchste Gut. Einer Polizistin riet er, sie solle aus dem Fenster springen, denn: "Was du machst, ist nichts wert." Dem tiefgläubigen Abteilungsleiter wurde auch unterstellt, an eine "religiös ausgerichtete rechtsradikale Internetplattform" gespendet zu haben, die "verbotsgesetzwidrige und verhetzerische Beiträge" verbreitete – gegen genau diese Website ermittelten Kollegen einer anderen Abteilung.

Die Einblicke, die der Disziplinarfall mit der Nummer BMI-40059/DK/2019 bietet, sind nicht repräsentativ für das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) – aber sie zeigen, was dort alles möglich war. Die genannten Vorwürfe sind allesamt verjährt, wegen anderer Vorfälle setzte es eine Geldstrafe von 20.000 Euro – nicht rechtskräftig.

Lange Liste an Vorwürfen

Mobbing, Grabenkämpfe, zu enge Verbindungen zu anderen Nachrichtendiensten oder staatsfeindlichen Verbindungen: Jahrelang war so etwas Usus im Verfassungsschutz. Die Liste der Affären ist lang, deren Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen. Derzeit laufen Ermittlungen und Disziplinarverfahren gegen mehrere ehemalige Verfassungsschützer: Die einen sollen einen syrischen Kriegsverbrecher als Asylwerber in Wien versteckt, die anderen brisante Informationen verkauft und dem international gesuchten Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek bei der Flucht geholfen haben. Ein ehemaliger IT-Mitarbeiter soll bei seiner Versetzung in eine andere Polizeieinheit mit seiner Ausrüstung für Telefonüberwachung verschwunden sein. Wozu er diese auf seiner neuen Stelle brauchte: unklar. Womöglich nutzte er sie, um alte Smartphones seiner Kollegen abzusaugen – das vermuten laut "Presse" zumindest Ermittler.

Sie fanden bei einer Razzia rund fünfzig Geräte, teilweise von hochrangigen Beamten und Kabinettsmitarbeitern. Im Raum steht die Befürchtung, dass die Informationen dieser Geräte auch verkauft wurden. Der Mann soll eine geschäftliche Beziehung zu Wirecard beziehungsweise dessen Ex-Vorstand Jan Marsalek aufweisen.

Allein diese Vorgänge würden schon für gravierende Verstimmungen mit ausländischen Partnerdiensten sorgen. Die waren durch die einzigartige Razzia im Februar 2018, als Drogen- und Raubpolizisten unter Führung eines blauen Gemeinderats stundenlang Büros im BVT durchwühlten, aber ohnehin schon gegeben. Die darauffolgenden Ermittlungen samt politischem Untersuchungsausschuss haben das Amt endgültig zum sicherheitspolitischen Nackedei gemacht.

Aus BVT wird DSN

Das soll sich jetzt wieder ändern. Um die Vergangenheit abzuschütteln, erhält das Amt sogar einen neuen Namen: DSN, Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst. "Demnächst" soll laut Innenministerium eine neue Punktuation für die mehrstufige BVT-Reform vorgestellt werden; erste Schritte wurden bereits ab Sommer 2020 umgesetzt. Für gute Stimmung sorgen sie im Verfassungsschutz allerdings nicht.

Besonders schlecht aufgenommen wird die sogenannte Vertrauenswürdigkeitsprüfung: Alle Verfassungsschützer müssen sich jetzt und danach alle sechs Jahre diesem Prozedere unterziehen. Damit soll ausgeschlossen werden, "dass der Bedienstete einer erhöhten Anfälligkeit für Werbungsversuche oder für die Erpressbarkeit durch fremde Nachrichtendienste" oder Personen staatsfeindlicher Verbindungen ausgesetzt sei.

Dafür werden Partner, Kinder, Mitbewohner überprüft, aber auch Gesundheitsdaten und höchstpersönliche Informationen herangezogen. Das jahrelang kultivierte Misstrauen zwischen Kolleginnen und Kollegen im Verfassungsschutz sorgt für eine große Skepsis, derartige Daten zu übermitteln.

Schon jetzt sollen vertrauliche Informationen aus Vertrauenswürdigkeitsprüfungen im Flurfunk die Runde machen, erzählen BVT-Mitarbeiter dem STANDARD. "Unter diesen Voraussetzungen sollen Mitarbeiter alle finanziellen Daten und persönliche Geheimnisse und Internetdienste, zum Beispiel Onlineforen für Homosexuelle, preisgeben?", fragt ein Verfassungsschützer.

Schon im "alten" BVT genossen die Sicherheitsüberprüfungen, die deutlich weniger persönliche Daten abgriffen, kein besonderes Renommee. Ein Running Gag war, dass einer der für Sicherheitsprüfungen zuständigen Beamten selbst merkwürdige Nebenbeschäftigungen hatte: Er war im Aufsichtsrat einer deutschen Bank, die unter türkischstämmiger Leitung stand.

Unkontrollierte Spione

In so heiklen Bereichen wie dem Referat für verdeckte Ermittler saßen Polizisten, die gerade knapp ein Disziplinarvergehen überlebt hatten und vor denen ausländische Nachrichtendienste gewarnt hatten. Nebentätigkeiten waren gang und gäbe – und auch erlaubt, oft verschmolzen dabei Grenzen zwischen Ermittlungstätigkeit und nebenberuflichem Auftrag. Ein Beamter lieferte jahrelang einer Privatdetektivin, die einst bei der Stasi war, heikle Informationen; die gingen dann weiter an Unternehmen wie die OMV oder den Glücksspielkonzern Novomatic. Die Staatsanwaltschaft ermittelt diesbezüglich.

Besonders in der chaotischen Zeit nach der durch den damaligen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) vorangetriebenen Hausdurchsuchung im Frühjahr 2018 ging es im BVT drunter und drüber. Ohne das Wissen des suspendierten damaligen BVT-Direktors Peter Gridling wurde eine neue Observationseinheit aufgebaut, wie der U-Ausschuss enthüllte.

Auch hier gab es keinerlei Kontrolle darüber, wer warum wo beobachtet wurde. Aus der "alten Garde" im BVT drangen Warnungen an Politiker und Journalisten, man solle deshalb vorsichtig sein.

Ob diese Altlasten im Zuge der Reform überwunden werden können, ist strittig. Jedenfalls muss sich jeder Beamte für einen Job in der künftigen DNS neu bewerben. Näher an einer Neugründung könnte die Reform also fast nicht sein. (Fabian Schmid, 24.3.2021)