Bevor in besonders gebeutelten Branchen wie der Gastronomie das Licht für immer ausgeht, soll das Insolvenzrecht aufgeweicht werden. Darüber sind sich Experten einig. Aber soll das weiterhin für alle gelten?
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Manche Nachricht ist nur auf den ersten Blick eine gute. Dazu zählt auch, dass die Zahl der Firmeninsolvenzen mit hochgerechnet 473 Fällen im ersten Quartal auf den tiefsten Stand seit 1977 gesunken sind. Das entspricht einem Rückgang um 59 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Aber statt Freudensprünge zu machen, sorgen sich Gläubigerschützer vielmehr über den immer größer werdenden Stau an überfälligen Firmenpleiten – und schlagen ob einer dahinterstehenden Maßnahme der Regierung die Hände über den Kopf zusammen.

"Wann es zu einer Trendumkehr kommen wird, ist offen und hängt auch von weiteren künstlichen Eingriffen der Bundesregierung ab", sagt Insolvenzexperte Karl-Heinz Götze vom Gläubigerschützer KSV 1870. Er kritisiert, dass das Insolvenzrecht um drei Monate länger, also bis Ende Juni, teilweise ausgehebelt wird. Es gilt seit Ausbruch der Corona-Krise im März 2020: Überschuldete Unternehmen müssen vorerst keine Insolvenzanträge stellen. Damit würden auch jene Firmen weiterhin am Leben erhalten, die eigentlich schon vor der Krise Pleite hätten anmelden müssen.

Im Abwärtsstrudel

"Die Gießkanne ist das Problem", erklärt Götze. Denn er hält die verlängerte Aufweichung des Insolvenzrechts nur für besonders betroffene Branchen wie Gastronomie oder Hotellerie für sinnvoll. Für andere Bereiche gilt ihm zufolge: "Die undifferenzierte Großzügigkeit gehört gestoppt, bevor auch gesunde Unternehmen von finanzschwachen Firmen in den Abwärtsstrudel getrieben werden."

Die Befürchtung dahinter: Kaum überlebensfähige Firmen versuchen, sich mit Preissenkungen über Wasser zu halten, was auch eigentlich gesunden Mitbewerbern schade. Götze betont den Reinigungseffekt von Firmenpleiten, auch bei guter Konjunktur gebe es stets Insolvenzen. Dieses Hinauszögern sei fatal, der KSV-Experte erwartet, dass es künftig viele Insolvenzanträge ohne Masse und Aussicht auf Sanierung geben werde. "Dann sind die Arbeitsplätze auch futsch."

Marktbereinigung sinnvoll

Auch Wifo-Ökonom Thomas Url hält eine Marktbereinigung für sinnvoll, da ansonsten Ressourcen wie Kapital und Arbeitskräfte in nicht zukunftsfähigen Firmen gebunden seien. Daher ist der Volkswirt über die verlängerte Aussetzung der Insolvenzpflicht geteilter Meinung – auf jeden Fall sei dies aber für von Lockdowns betroffene Bereiche wie die Gastronomie sinnvoll.

Url verweist auch auf die 30 Milliarden Euro, die an Regierungshilfen an Unternehmen geflossen seien. "Das hilft so weit, dass ein Großteil der Unternehmen überleben kann", sagt er. Einer Erhebung der Nationalbank zufolge würden Maßnahmen wie Kurzarbeit, Fixkostenzuschuss und Stundungen eine viel stärkere Auswirkung bei der Vermeidung von Firmenpleiten entfalten als die Aufweichung des Insolvenzrechts.

Nicht verlängern

Grundsätzlich hält Url auch diese für unterstützend, zumal sich die Konjunktur in Österreich schwächer als erwartet entwickelt. Aber nach der derzeitigen Lockdown-Phase und mit voranschreitender Durchimpfung der Bevölkerung würde er "dringend empfehlen, nicht noch einmal zu verlängern". Zumal er wegen der Hilfen ohnedies keine besonders starke Insolvenzwelle befürchtet.

Diese ist auch für Erste-Bank-Chefin Gerda Holzinger-Burgstaller nicht in Sicht. Sie fordert aber, dass Staatshilfen zielgerichteter werden müssten, um nicht Zombieunternehmen künstlich am Leben zu erhalten. Davor warnt auch Creditreform-Geschäftsführer Gerhard Weinhofer, der die Verlängerung des Insolvenzaufschubs sehr kritisch sieht: "Damit versucht man, marktwirtschaftliche Mechanismen außer Kraft zu setzen", sagt der Gläubigerschützer und fügt hinzu: "Ich glaube, dass man damit die Probleme nur nach hinten verschiebt."

Wie sich die Firmenpleiten weiter entwickeln werden, ist für KSV-Experte Götze schwer abzuschätzen. Er erwartet, dass deren Anzahl frühestens im Herbst wieder steigen wird. (Alexander Hahn, 25.3.2021)