In den letzten Jahren wurde der Arbeiterin, Frauenrechtsaktivistin und sozialdemokratischen Politikerin Adelheid Popp aus unterschiedlichen Gründen gedacht. 100 Jahre Republik, 100 Jahre Frauenwahlrecht, 100 Jahre Rotes Wien und 100 Jahre Einzug der ersten Frauen in den Wiener Gemeinderat sowie Nationalrat jährten sich – in all diesen Zusammenhängen spielte Popp eine zentrale Rolle. Wer aber war die Frau hinter diesen Meilensteinen?

Die Frau der Meilensteine

Bereits vor über 110 Jahren gab Adelheid Popp – vorerst anonym – schriftlich über sich selbst Auskunft: "Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin von ihr selbst erzählt" erschien im Münchner Verlag von Ernst Reinhardt und war bald ein Bestseller. Bereits das Vorwort von August Bebel – dem Begründer der deutschen Sozialdemokratie – machte deutlich, dass die Autorin eben keine einfache Arbeiterin war, sondern "sich zur Vorkämpferin ihres Geschlechts" emporgearbeitet hatte. Das Rätselraten um die offenbar prominente Verfasserin war dem Erfolg sicher nicht hinderlich, dauerte aber nicht lange an. Schon im Februar 1910 legte Popp im Vorwort zur dritten Auflage ihre Identität offen.

Popp, das "Wunderkind" der österreichischen Sozialdemokratie, die "Hilfsarbeiterin, die zur politischen Elite" aufgestiegen war, war damals gerade 41 Jahre alt. Sie war seit fast zwanzig Jahren Chefredakteurin der "Arbeiterinnen-Zeitung", gehörte seit fünf Jahren dem Parteivorstand der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) an und avancierte – auch aufgrund ihrer gekonnten Taktik von Appell, Angriff und Kompromiss – in den folgenden Jahrzehnten zu Österreichs erster Berufspolitikerin speziell für Frauenfragen. Mit ihrem verstorbenen Mann Julius Popp (1849–1902) – einem wichtigen Freund und Wegbegleiter von Viktor Adler – hatte sie die "sozialdemokratische Erfolgsstory" mitgestaltet und sich dabei von einer radikalen Oppositionellen mit anarchistischen Tendenzen zur Mittlerin zwischen den Fronten der Partei sowie zur Augenzeugin und Chronistin der Geschichte entwickelt.

Ihre erste Autobiografie hatte somit stark den Charakter einer Agitationsschrift. Popp selbst erklärte darin, es gehe ihr darum, "zahlreichen Arbeiterinnen […] Mut zu machen".

Aus "Das Interessante Blatt" vom 22. Dezember 1892.
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Die Jugend einer Arbeiterin

Popp wurde am 11. Februar 1869 in Inzersdorf als jüngste Tochter des Webergesellen Adalbert Dwořak (1816–1875) und der Hilfsarbeiterin Anna Dwořak (geboren 1824 als Anna Wrabecz, verwitwete Kubeschka), die beide aus Böhmen stammten, geboren. Es war Anna Dwořaks zwölfte nachweisbare Geburt. Popp sprach später sogar von 15 Kindern, die ihre Mutter geboren habe.

1875 blieb nach dem Tod des gewalttätigen Alkoholikers Adalbert Dwořák die sechsjährige Popp mit ihrer damals 51-jährigen Mutter und drei älteren Brüdern zwischen 13 und 18 Jahren zurück. Ausreichend Geld durch Fabriks- und vor allem Heimarbeit zu verdienen, um Unterkunft und Essen zu haben, hatte oberste Priorität. Selbst die Jüngste musste mitarbeiten, auch wenn das auf Kosten der Schulbildung ging, die in diesen Zusammenhängen keinerlei Wert hatte. Die im Geburtsjahr von Popp eingeführte Schulpflicht wurde sogar umgangen, um maximale Arbeitsleistung aus der Familie herauszuholen. Ihre Mutter kam dafür kurzfristig ins Gefängnis, was außer ihrer Empörung über die "Schande" der Verhaftung aber keine Folgen hatte – im Gegenteil. Popp brach nach nur drei Jahren die Schule gänzlich ab und zog mit ihrer Mutter nach Wien. Dort wurde aus der Tochter einer vorindustriellen Weberfamilie eine Fabriksarbeiterin.

Popp, die schon in Inzersdorf den Haushalt geführt hatte, verdiente vorerst in Heimarbeit häkelnd, strickend und stickend. Dann fand sie Arbeit in einer Bronzewarenfabrik. Die Arbeitsbedingungen, denen sie dort ausgesetzt war, waren so katastrophal, dass sie schließlich einen Zusammenbruch erlitt, der längere Krankenhausaufenthalte notwendig machte. Nach eigenen Angaben gelang es ihr dort erstmals, sich vom nicht nur physisch zehrenden Arbeitsalltag zu erholen. Körperliche Entbehrungen, dauernde Überanstrengung, sexuelle und andere Übergriffe am Arbeitsplatz und in einer beengten Wohnsituation setzten dem jungen Mädchen zu.

Nach weiteren kurzfristigen Anstellungen in einer Metalldruckerei, einer Patronenfabrik, "einer Kartonagenfabrik, bei einem Schuhfabrikanten, bei einer Fransenknüpferin […] und noch bei vielen anderen Berufen" kam sie 1884 in einer Korkfabrik unter, in der sie schließlich sogar zur Kontoristin aufstieg und die sie 1892 verließ, um die Schriftleitung der "Arbeiterinnen-Zeitung" zu übernehmen. Die notwendige Resilienz, all das zu überstehen, gab ihr das Lesen – über Groschenromane kam sie zu Klassikern und schließlich zu politischen Schriften.

Sitzung der verfassungsgebenden Nationalversammlung im Parlament, Sektor der weiblichen Abgeordneten der Sozialdemokratischen Partei (von links vorne beginnend): Adelheid Popp, Therese Schlesinger, Anna Boschek, Emmy Freundlich, Maria Tusch, Amalie Seidel.
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Agitatorin, Aktivistin und erste Berufspolitikerin

In Kontakt mit politischem Aktivismus kam Popp neben der Lektüre sozialdemokratischer Presse auch durch die Teilnahme an politischen Versammlungen. 1886 hielt sie ihre erste Rede vor führenden Sozialistinnen und Sozialisten, die vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen noch Jahre später in Erinnerung blieb. Jakob Reumann, Friedrich Engels, August Bebel und nicht zuletzt Viktor Adler gehörten in den folgenden Jahren zu ihren Unterstützern; Emma Adler, Journalistin und Schriftstellerin sowie Viktor Adlers Ehefrau, begleitete Popp als Freundin und Kollegin. 1889 wurde Popp Mitglied des Wiener Arbeiterinnen-Bildungsvereins. Ab 1890 sprach sie bei zahlreichen nationalen und internationalen politischen Veranstaltungen, bei denen die von Zeitgenossinnen und Zeitgenossen als lebhaft und gewinnend beschriebene Rednerin viele Leute nachhaltig beeindruckte.

Für die 1892 gegründete "Arbeiterinnen-Zeitung" war die junge Popp schon im ersten Erscheinungsjahr verantwortliche Redakteurin und von 1919 bis 1934 als Herausgeberin tätig. Mit knapp über 20 Jahren begann sie in der Sozialdemokratie eine Familie zu finden, in der sie als Anarchistin vorerst die Rolle der rebellischen Tochter innehatte. Das verdeutlichte auch das Dilemma um ihr Engagement für das Frauenwahlrecht, das sie als junge Agitatorin zunächst einstellen musste. Sie war SDAP-Abgeordnete der konstituierenden Nationalversammlung, im März 1919 zog sie als eine von sieben Sozialdemokratinnen in den Nationalrat ein und blieb bis 1934 Abgeordnete. Im April 1919 hielt sie als erste Frau eine Rede im Parlament. Sie setzte zudem die Initiative für die Wiederbelebung der sozialistischen Fraueninternationale und vertrat als Vorsitzende die österreichische Delegation bei der Konferenz der sozialistischen Arbeiterinternationale in Brüssel 1926.

Im Nationalrat setzte sich Popp vor allem für Frauenrechte ein: Sie forderte Gesetzesänderungen für die Reform des Wahl-, Ehe- und Arbeitsrechts, die Verbesserung der Bildung für Frauen, stellte sich gegen den "proletarischen Antifeminismus" und brachte Anträge für die Abschaffung des Doppelverdienergesetzes und die Abänderung der Strafparagrafen ("Abtreibungsparagrafen") §144-148 ein. Eines ihrer Hauptanliegen war die Verbesserung des Hausgehilfinnengesetzes. 1931 folgte der Antrag zur Novellierung des Eherechts und ein erneuter Anlauf zur Gesetzesänderung der "Abtreibungsparagrafen". 1933 zog sie sich langsam aus gesundheitlichen Gründen aus der aktiven Politik zurück und verbrachte viel Zeit im Krankenhaus – so auch während der Februarkämpfe 1934, was sie vor einer Inhaftierung durch die Austrofaschisten bewahrte.

Popp an ihrem Schreibtisch circa 1930.
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Der letzte Weg und die verlorene Höhe

Popps Karriereweg wurde bereits zu Lebzeiten Anlass für Fest- und Gedenkschriften sowie Ehrenveranstaltungen: Zum 25-jährigen Bestehen der "Arbeiterinnen-Zeitung" und zu Ehren ihrer ebenso langen politischen Arbeit organisierte die SDAP 1917 eine Festversammlung im Favoritener Arbeiterheim, für die der Arbeiterdichter Alfons Petzold den Prolog "An Adelheid Popp" verfasste. 1920 schilderte ein Redakteur des "Neuen Wiener Tagblatts" detailgerecht einen Auftritt der "populären Adelheid", die "die Früchte ihrer politischen Arbeit in einer mächtigen männlichen Aktentasche [schleppt]".

Adelheid Popps 60. Geburtstag sowie das zehnjährige Jubiläum der Einführung des Frauenwahlrechts 1929 sollten den letzten Anlass für ausgedehnte Feierlichkeiten bieten, zu denen etliche Reportagen und Porträts erschienen. Dieses Mal rezitierte eine geladene Schauspielerin im Ottakringer Arbeiterheim das zu diesem Anlass von Josef Luitpold Stern verfasste Gedicht "Legende der Wirklichkeit", das von Popps Autobiografie inspiriert war.

Popps Spuren

Zum Zeitpunkt ihres Todes, fast ein Jahr nach dem Anschluss am 7. März 1939, erschienen lediglich eine Handvoll Nachrufe, beinahe ausschließlich in der österreichischen Exilpresse. Einen davon verfasste Otto Pohl, der darin die Stimmung aus dem Exil mit Blick auf die verlassene Heimat im letzten Satz so formulierte: "Die Erinnerung an die Zeit des Aufstiegs der österreichischen Arbeiterbewegung leuchtet unversiegbar in das dunkle Grauen der Gegenwart, und zu dieser Erinnerung gehört auch die Gestalt Adelheid Popps." So viel über ihre Jugend und politische Frühzeit geschrieben wurde, so wenig ist über ihre letzten Jahre nach dem Rückzug aus der Politik bekannt. Popp versuchte noch aus dem Krankenbett, weiterhin ihre internationalen Netzwerke aufrechtzuerhalten und wurde dabei von ihren Freundinnen unterstützt. Ein Frauennetzwerk, das unter anderem aus Frieda Nödl, Gabriele Proft, Rudolfine Muhr, Eugenie Brandl und Rosa Jochmann bestand, um- und versorgte sie bis zu ihrem Ableben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden mehrere Initiativen der Wiedergutmachung gesetzt, um ehemals Verfolgten symbolisch ein Denkmal zu setzen. So wurde 1949 eine Wohnhausanlage im 16. Wiener Gemeindebezirk Adelheid-Popp-Hof benannt, und seit 2011 ist sie unter anderem Namensgeberin des Adelheid-Popp-Parks im 17. Bezirk.

Was bleibt, sind zudem nicht nur ihre zahlreichen Publikationen und politischen Errungenschaften, sondern auch Forderungen, die sie zu ihren Lebzeiten nicht durchsetzen konnte, bildeten lang nach ihrem Tod die Grundlage für Gesetzesänderungen (zum Beispiel die "Fristenlösung" und Reform des Eherechts). Überdies ist die Stimme der eloquenten Agitatorin in Form einer dreieinhalbminütigen Rede für die Nationalratswahl im November 1930 erhalten und kann online in der Österreichischen Mediathek nachgehört werden. (Katrin Pilz, Katharina Prager, 30.3.2021)