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Die EU-Staats- und Regierungschefs sind bei ihrem virtuellen Gipfel einer Lösung bei der Verteilung von Impfdosen näher gekommen.

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Im Streit um eine Korrektur der ungleichen Impfstoffverteilung zwischen den EU-Staaten haben sich die Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend bei einem Videogipfel auf einen für alle gesichtswahrenden Kompromiss geeinigt. Nach stundenlangen Auseinandersetzungen einigte man sich darauf, dass der von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagene Korrekturmechanismus von allen grundsätzlich anerkannt wird.

Von der Leyen hatte beim Pharmakonzern Biontech/Pfizer dafür gesorgt, dass zehn Millionen Impfdosen im zweiten Quartal bis Ende Juni früher als bisher geplant ausgeliefert werden können, um den Abstand der Verimpfungsraten in den EU-Staaten auszugleichen. Wie genau diese Menge aufgeteilt wird und welche Staaten davon profitieren werden, dafür fand man auch nach stundenlanger Debatte keine einstimmige Entscheidung. Unklar ist, ob Österreich davon profitieren kann. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gab sich am Donnerstagabend "froh, erleichtert und zufrieden".

EU-Botschafter verhandeln weiter

Zuletzt lag ein Vorschlag auf dem Tisch, dass nur ein Drittel dieser Menge an fünf Staaten in Osteuropa weitergegeben wird. Das fand aber keine Mehrheit. Gelöst werden soll der Fall jetzt auf Ebene der EU-Botschafter in Brüssel, nicht mehr im sogenannten "Lenkungsausschuss", in dem die Vertreter der Gesundheitsminister der nationalen Regierungen sitzen. Dort war das Problem entstanden, weil manche Staaten viel weniger Impfstoff gekauft hatten, als ihnen zustand, so auch Österreich. Da die EU-Botschafter gegenüber den Außenministerien bzw. den Regierungschefs weisungsgebunden sind, erwartet man sich bei weiteren Verhandlungen nun rasche Ergebnisse. Die portugiesische Ratspräsidentschaft soll neue Vorschläge erarbeiten, in Abstimmung mit der EU-Kommission.

Dabei hätte das Thema ursprünglich eigentlich gar nicht beim EU-Gipfel behandelt werden sollen. Wäre es allein nach dem Ständigen Ratspräsidenten Charles Michel gegangen, hätten sich die 27 Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel am Donnerstag gar nicht erst groß mit der Frage einer Korrektur der ungleichen Versorgung der Mitgliedsländer mit Corona-Impfstoff befasst. Aber auch der "Chef der Chefs" muss zur Kenntnis nehmen, wenn "seine" Staatenlenker ihre Konflikte nicht im Vorfeld unter sich lösen können.

Vergeblicher Kompromissversuch

Genau das ist bis zum Start des Treffens per Videokonferenz passiert. Vertreter der Regierungen im "Lenkungsausschuss" hatten am Vormittag noch einen letzten Kompromissversuch unternommen. Aber der ging, wie in den Tagen davor, schief.

Weiter gab es einander widersprechende Vorschläge, wie der von der EU-Kommission empfohlene "Korrekturmechanimus" angewendet werden könnte. Von der Leyen hatte sich seit zwei Wochen bemüht, den Staaten unter die Arme zu greifen – vergeblich. Wie berichtet, hat sie auf einen gemeinsamen Vorstoß von Österreich, Bulgarien, Lettland, Slowenien, Kroatien und Tschechien reagiert. Diesen ist gemein, dass sie die im Vorjahr angebotenen Optionen zum Ankauf künftiger Impfstoffe nicht zu 100 Prozent genützt hatten und stark auf Astra Zeneca, nicht aber auf Biontech/Pfizer bzw. Johnson & Johnson setzten.

Wegen der verspäteten Zulassungen und Problemen bei der Produktion sind etwa ein dutzend Staaten bei der Verimpfungsrate seit Jänner zurückgefallen – verglichen etwa mit Dänemark, Malta, Zypern, Niederlande oder Deutschland. Letztere hatten in Brüssel "liegengebliebene" Kontingente aufgekauft, was dazu führte, dass sie bei den Immunisierungsraten nun weit vorn liegen.

Die EU als "Basar"

Nachdem Kurz dies angeprangert und schmutzige Deals im "EU-Basar" unterstellt hatte, weil diese Praxis früheren Beschlüssen nach gleicher Belieferung aller Staaten gemäß Bevölkerungszahl widerspreche, schaltete sich von der Leyen ein.

Sie schlug vor, dass man eine Tranche von zehn Millionen Dosen, die Biontech/Pfizer erst im zweiten Halbjahr ausliefern müsste, vorzieht, um damit einen Ausgleich zu schaffen. Möglich ist das, weil Biontech/Pfizer seine Produktion bis Sommerbeginn deutlich steigern kann.

Kaum lag der Vorschlag der Kommission auf dem Tisch, begann ein erneutes Hauen und Stechen zwischen den Staaten. Vor allem Dänemark, Deutschland und die Niederlande lehnten es brüsk ab, dass die gesamten zehn Millionen Dosen in die Korrektur gehen sollten – und schon gar nicht nach Österreich. Ihr Argument: Auch wenn dieses Kontingent erst später im Jahr zu liefern wäre, sei es bereits vorab mit Verträgen verteilt, gehöre also großteils ihnen.

"Heiße Kartoffel"

Bis Mittwochnacht hieß es, etwa ein Drittel des Kontingents könne verwendet werden, aber nur für fünf Schlusslichter – also ohne Österreich. Da Einstimmigkeit zum Beschluss nötig ist, wurde die heiße Kartoffel an den EU-Gipfel weitergereicht. Kurz sprach, ebenso wie seine fünf Kollegen aus Osteuropa, das Thema an. Der Kanzler war "optimistisch", was eine Lösung betrifft.

Setzt man die strittigen Zahlen in Relation zu den Impfdosen, die es EU-weit bis Juli geben soll, um das Ziel einer Durchimpfung von 70 Prozent der erwachsenen EU-Bürger zu erreichen, schiene das gar nicht so schwer. Im ersten Quartal werden rund 100 Millionen Impfdosen an die 27 Staaten verteilt sein.

Von April bis Juni kommen noch einmal mindestens 300 Millionen Stück dazu: 200 von Biontech/Pfizer, 35 von Moderna, 70 von Astra Zeneca und 55 von Johnson & Johnson. Der "Korrekturtopf" ist also relativ klein.

Auch auf der Agenda: Türkei und Biden

Einigkeit gab es am Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs jedenfalls bezüglich der Türkei. Dies teilte der Sprecher von Ratspräsident Charles Michel am Donnerstagabend auf Twitter mit. Darin werden der Türkei konkrete Belohnungen für eine weitere Deeskalation des Erdgasstreits im östlichen Mittelmeer in Aussicht gestellt, etwa eine Ausweitung der Zollunion und Visafreiheit für Türken in der EU. Eine Entscheidung darüber soll allerdings erst beim nächsten EU-Gipfel im Juni getroffen werden. In der Gipfelerklärung wird auch die Menschenrechtssituation in der Türkei angesprochen, die ein "zentrales Anliegen" der EU bleibe.

Auch US-Präsident Joe Biden hat sich am Donnerstagabend beim Videogipfel eingeschaltet. Biden wollte eine kurze Ansprache zum Neustart der transatlantischen Beziehungen halten. Erklärtes Ziel des US-Präsidenten ist es, im Kampf gegen die Corona-Pandemie und gegen die Erderwärmung mit Europa zusammenzuarbeiten und die gemeinsamen Handelsbeziehungen zu stärken. Die Teilnahme von US-Präsidenten bei EU-Gipfeln ist selten. 2009 war der damalige Präsident Barack Obama bei einem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs dabei. (Thomas Mayer, red, 25.3.2021)