Im Büro wollen viele beschäftigt wirken, daheim im Homeoffice fällt dieser Druck meist weg.

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Unter Zeitdruck, stets im Stress, keine Zeit: Wer ist das nicht – besonders in Zeiten einer Pandemie? Es gibt aber auch das andere Extrem, über das weniger gesprochen wird: Langfristige Unterforderung, Langeweile und Monotonie am Arbeitsplatz, die am Ende ebenso krankmachen können. Anders als beim Burnout brennt man also nicht durch zu viel Stress, sondern durch Nichtstun aus.

Offiziell gibt es die Diagnose Boreout nicht. Das Wort wurde 2007 von den beiden Unternehmens beratern Peter Werder und Philippe Rothlin für ihr Buch Diagnose Boreout geschaffen. Das Buch hat für Diskussionen gesorgt. In der Wissenschaft hat sich der Begriff bis heute allerdings nicht durchgesetzt.

"Aber Unterforderung und die Folgen davon gibt es schon viel länger in der Arbeitspsychologie", sagt der Wiener Arbeitspsychologe An dreas Fida-Taumer. So wurde schon vor vielen Jahren erforscht, wie sich die Fließbandarbeit auf Fabriksarbeiter und -arbeiterinnen auswirkt. Monotonie, das ist längst bekannt, macht auf Dauer krank.

Angst vor Kündigung

Die gibt es aber nicht nur am Fließband, sondern auch im Büro: Fünf Prozent der Büroarbeiter und -arbeiterinnen sind mengenmäßig unterfordert in der Arbeit, das zeigen Umfragen, 13 Prozent fühlen sich fachlich unterfordert. Das bedeutet noch lange nicht, dass alle Unterforderten darunter leiden. Wie auch bei der Diagnose Burnout gilt: "Das hängt stark von der Persönlichkeit ab", sagt Fida-Taumer. "Die einen stecken das gut weg, bei anderen nagt es am Selbstwert."

Oft befinden sich Betroffene in einer Arbeitssituation, die sie unterfordert und in der sie sich nicht beweisen können. Sie haben Angst davor, Vorgesetzte auf ihre Unterforderung hinzuweisen, aus Sorge, dann noch mehr Arbeit zu bekommen, die sie nur beschäftigen soll – oder gar den Job zu verlieren. "Manche beginnen dann, Arbeit vorzutäuschen, um den Eindruck zu erwecken, sehr beschäftigt zu sein", sagt Fida-Taumer.

Der Schreibtisch ist dann voller Akten, ständig wird telefoniert. Dadurch wird es für die Führungskraft und Kollegen aber schwierig, zu erkennen, dass der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin in Wahrheit nichts zu tun hat. Ein Teufelskreis beginnt.

Solche Probleme gibt es naturgemäß eher in großen Unternehmen, wo es nicht auffällt, wenn einzelne nicht viel zu tun haben: "Oft passiert das in Strukturen, wo sich die Macht eines Vorgesetzten an der Anzahl der Mitarbeiter misst", sagt Fida-Taumer. Mitunter trifft es auch ältere Menschen in unkündbaren Beschäftigungsverhältnissen, die zwar jahrelang unterfordert sind – gleichzeitig aber wissen, dass sie am Arbeitsmarkt keine Chance mehr hätten.

Körperliche Beschwerden

Die Symptome unterscheiden sich bei chronischer Unterforderung nicht groß vom Burnout: Auch bei ewiger Langeweile kann es zu Gereiztheit, Schlafstörungen und einer inneren Unruhe kommen. Manche Betroffene entwickeln Depressionen oder Angststörungen und können irgendwann nicht mehr arbeiten, weil sich der Stress bei ihnen auf den Magen schlägt. Oft kommen soziale Isolation und Zukunftsängste dazu.

Wer unterfordert ist, verliert auch an Leistungsfähigkeit – das ist ähnlich wie beim Sport. "Und auch der Glaube an die eigene Fähigkeit sinkt", sagt Fida-Taumer. Irgendwann glaubt man also selbst nicht mehr daran, herausforderndere Tätigkeiten stemmen zu können.

Der erste Schritt aus dem Boreout ist, darüber zu sprechen – mit Kolleginnen und Kollegen, einem Coach oder einer Psychologin. Helfen kann auch, sich auf die Suche nach einer Erfüllung zu machen. Das kann in der Freizeit im Sport oder bei der Gartenarbeit sein – oder auch im Unternehmen. Um sich beruflich weiterzuentwickeln, könnte man_zum Beispiel Fortbildungen besuchen, die derzeit ohnehin oft virtuell stattfinden.

Mit dem Chef reden

Sinnvoll sei auch, das Problem mit dem Chef zu thematisieren, meint Fida-Taumer. "Der beste Weg wäre, das mit der Führungskraft zu besprechen, neue Aufgaben und mehr Förderung zu bekommen – und einen Weg zurück ins Team zu finden." Das klappt aber nicht immer, weil manche Vorgesetzte den Vorwurf der Unterforderung als Kritik an ihrer Person auffassen.

Die gute Nachricht: Im Homeoffice gehe es vielen Unterforderten besser, glaubt Fida-Taumer. Zwar kann man sich hier weniger mit den Kolleginnen und Kollegen austauschen. "Aber dafür muss man daheim keine Betriebsamkeit vortäuschen und steht nicht so unter Beobachtung."

Das Boreout ist aber immer noch ein Tabuthema – im Gegensatz zum Burnout: "Das Burnout bedeutet für viele: Ich bin gefragt und brenne für eine Sache", sagt der Psychologe. Dass man sich allerdings unter fordert fühlt und bei der Arbeit langweilt, können viele so gar nicht nachvollziehen: "Als Reaktion kommt dann im Smalltalk oft nur ein mildes Lächeln." (Franziska Zoidl, 8.4.2021)